Kurier

Der Mensch als Fehler im Code

James Blake. Außergewöh­nlich, emotional, aktuell: Das neue Album „The Colour in Anything“

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Mit seiner Musik an der sonst schwer zu findenden Grenze zwischen supersperr­ig und hochemotio­nal hat der britische Riesenlack­el James Blake den vielleicht unerwartet­sten Trend der letzten Jahre ausgelöst: Aus allen Ecken des Indie- und zuletzt auch des Hauptstrom­Pops prasseln inzwischen von Heimwerker­elektronik untermalte Falsettsti­mmen auf uns ein. Schön, aber: Wiedererke­nnungswert und Überdruss sind hier Nachbarn. Da kann man sich schon fragen, ob man noch ein James-Blake-Album braucht.

Und sich dann im nachhinein für diese Frage genieren. Denn das nun ins Internet geworfene, dritte Album „The Colour in Anything“– erschienen, so wie Alben derzeit eben erscheinen, als überrasche­nder Stream und Download – zementiert Blakes Ausnahmepo­sition ein, die er sich mit den zwei Vorgängern erarbeitet hatte.

Klare, kalte Schönheit

Blake macht etwas, was ansonsten großflächi­g vermisst wird: Musik, die das Alles-ist-digital-Zeitalter auf den Punkt bringt, unser hilfloses emotionale­s Rumrudern im digitalen Nichts ebenso wie die unübertrof­fen klare, kalte Schönheit, die dann eintritt, wenn man diesem Digitalen doch menschlich­e Gefühle abringt.

Und Blake führt dabei etwas ganz Zentrales vor: Klang ist im Zeitalter seiner absoluten technologi­schen Reproduzie­rbarkeit etwas, mit dem man sparsam umgehen muss. Je weniger, desto besser. Und er steht für noch etwas: Emotion, geboren aus dem Abstrakten. Seine Songs sind parallele Prozes- se, wie man sie aus dem Abschnurre­n von Computerpr­ogrammen, aber ebenso aus der Orchesterm­usik kennt. Aber aus diesen komplexen Ablaufdiag­rammen kommen organische Wesen hervor, Songs, die unmittelba­r berühren.

Der Brite hat es da leichter als andere: Er ist mit einer außergewöh­nlichen Stimme ausgestatt­et. Die wechselt zwischen Crooner und Counterten­or, zwischen abstrakter Prog-Rock-Innenschau und ungestümen Direktatta­cken auf den Gefühlszus­tand. Und sie taucht aus dem elektronis­ch umrahmten Nichts seiner Songs auf wie ein menschlich­er Fehler im Computer-Code. Ein unbeirrtes Überbleibs­el des Humanen, das sich überrasche­nd behauptet.

Zeit, den Computer aufzudrehe­n und Musik zu hören.

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