Wie man Tschechow Neues abgewinnen kann
Theater. „Drei Schwestern“als stummes Spiel
Timofej Kuljabin, Jahrgang 1984, hatte an der Staatsoper von Nowosibirsk Richard Wagners „Tannhäuser“inszeniert und war nach der Premiere am 20. Dezember 2014 plötzlich über Nacht berühmt.
Staatsanwälte, Minister und Kirchenleute kämpften in seiner Inszenierung gegen Künstler, Freiheit und die Moderne. Aber in keiner Reality-Show, sondern in Russlands Realität.
Der Vorwurf der Theaterzensur: Gotteslästerung und Respektlosigkeit. Wobei „kriminelle Strukturen die örtliche orthodoxe Kirche benützen konnten, um ihre Interessen durchzusetzen“, sagt Marina Davydova, die die Farce aus nächster Nähe beobachtet hat. „Das war eine konservative Revolution.“
Wagner abgesetzt
Schließlich zog die Kunst den Kürzeren. Der Theaterdirektor Boris Mesdritsch wurde entlassen, weil er sich weigerte, die Aufführungen vom Spielplan zu nehmen. Das besorgte dann dessen Nachfolger.
Bei den Wiener Festwochen zeigt Kuljabin, der jetzt am Moskauer Bolschoi-Theater Donizettis „Don Pasquale“inszeniert, seine jüngste Regiearbeit zum ersten Mal außerhalb Russlands: „Drei Schwestern“, Tschechows 1901 uraufgeführtes Drama über das Dahinschwinden von Jugend, Hoffnung und Lebenszeit. Aber warum ausgerechnet dieses ohnedies am laufenden Band aufgeführte Herzstück der russischen Theaterliteratur?
Ohne Pathos
Auch Davydova hätte nicht gedacht, dass man sie mit diesem Drama noch überraschen kann. Aber Kuljabin ist genau das gelungen.
Weil er fast alle Figuren im Klassiker ohne gesprochenen Text präsentiert, den das Publikum in Russland ohnedies bis ins letzte Detail auswendig kennt.
Nur der stocktaube Amtsdiener Ferapont darf in dieser Inszenierung sprechen. Die anderen unterhalten sich in Gebärdensprache miteinander, während der Originaltext in Übertiteln erscheint und den Rhythmus der Schauspieler bestimmt.
Selten sei eine Inszenierung dem Stück so gerecht geworden, sagen Kritiker.