Merkel will moderieren, aber Europas Zukunft.
Von der deutschen Kanzlerin erwarten die EU-Partner Vorschläge & Verantwortung, aber keine Vorherrschaft.
Als das Ergebnis des BrexitReferendums feststand, hat Kommissionspräsident JeanClaude Juncker mehr deutsche Führung in der Europäischen Union angemahnt: „Berlin wird auch weiterhin eine zentrale, wenn nicht sogar eine noch wichtigere Rolle in der EU spielen.“
Diese Rolle hat die deutsche Bundeskanzlerin – sie ist die längstdienende Regierungschefin in der EU – für sich und ihr Land nach dem Referendum klar definiert: „Deutschland hat ein besonderes Interesse und eine besondere Verantwortung, dass die europäische Einigung gelingt.“Nach Machtgier und deutscher Dominanz in der EU klingt das nicht, nach vernünftiger Führung sehr wohl.
Zu den Lenkern Europas zählt sich traditionell auch Frankreich. Staatspräsident François Hollande fordert ein europäisches „Auf bäumen“und betont, Europa dürfe nun nicht weitermachen wie bisher. „Die Botschaft ist klar: Jetzt ist die französisch-deutsche Zusammenarbeit wichti- ger als je zuvor. Die beiden Länder repräsentieren ein gutes Drittel der EU-Bevölkerung und erwirtschaften annähernd die Hälfte des EUBIP“, unterstreicht Le Monde die Bedeutung des französisch-deutschen Tandems.
Allianz Berlin-Paris
Ein Test steht Merkel heute, Montag, bevor: Sie hat Hollande, Italiens Premier Matteo Renzi und EU-Ratspräsident Donald Tusk zu einzelnen Gesprächen nach Berlin eingeladen, explizit nicht zu einem „Vierergipfel“.
Alles deutet darauf hin, dass Merkel folgende Strategie wählt: Sie will eine Antwort der EU-27, getragen von einer starken deutsch-französischen Allianz. Deutschlands größte Angst ist nämlich, dass Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland vermehrt etatistische Politik betreiben – verbunden mit mehr staatlichen Transfers. Umgekehrt würden sich Paris und Rom Sorgen um eine deutsche Abkehr von der Europäischen Union machen.
Die Vorarbeiten für das heutige Treffen in Berlin leisteten Außenminister FrankWalter Steinmeier und JeanMarc Ayrault. In einem NeunSeiten-Papier sind die Grundzüge für eine Reform der EU festgelegt – pragmatisch, keineswegs revolutionär.
Debatte ohne Cameron
Über diese Inhalte wird Merkel heute in Berlin reden und danach beim EU-Gipfel im großen Kreis. Nicht mehr gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron, er ist beim Gipfel nur mehr beim Abendessen am Dienstag dabei. Eines steht mittlerweile fest: Die EU-27 rechnen nicht mit dem Austrittsantrag der Briten beim EU-Gipfel, wie dies die EU-Kommission und das Europa-Parlament verlangen. „Die innenpolitische Krise in Großbritannien ist zu groß, um den Antrag jetzt zu erwarten“, erklärte gestern Abend ein EU-Diplomat.
Am Mittwoch, dem zweiten Gipfeltag, werden die EU27 die Brexit-Folgen diskutieren und London ersuchen, Artikel 50, der den Austritt regelt, „so rasch wie möglich zu aktivieren“.
Die Pläne für einen Reset Europas basieren auf zwei Pfeilern: Zum einen soll es mehr Gemeinsamkeit in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben
zum anderen will Angela Merkel (CDU) man die Wirtschafts- und Währungsunion stärken.
Gedacht ist an gemeinsame Marine-Verbände, an den „weltweit ersten multinationalen Grenz- und Küstenschutz sowie strikte Regeln für Wirtschaftsmigranten aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in manchen Ländern.
Ausdrücklich wird gefordert, dass die EU-Staaten ihre Verteidigungsbudgets erhöhen sollten. Zwei Prozent des BIP sind international vereinbart. Das könnte noch zu heiklen Debatten in Österreich führen, dessen Militärausgaben weit darunter liegen.
Für die Euro-Zone wird ein „stärkerer Ausgleich zwischen Überschuss- und Defizit-Ländern“verlangt, und damit ein deutsches Tabu gebrochen. Offensichtlich ist Merkel kompromissbereit, wie sie es am Ende auch bei der Lösung der Griechenland-Krise war. Im deutsch-französischen Text wird auch auf Nicht-EuroStaaten verwiesen und auf unterschiedliche Ambitionen der Länder bei der Integration. Künftig soll es mehr „Flexibilität“geben.
Finanzausgleich
Faktum ist, dass die Euro-Zone nach dem Briten-Austritt stärker wird. Der Anteil der Nicht-Euro-Länder an der Wirtschaftsleistung der EU beträgt nur noch 14 Prozent.
Um die öffentliche Zustimmung zum Euro zu sichern – Rechtspopulisten in Italien und Frankreich fordern den Austritt aus dem Euro – , müssen die „soziale Dimension“gestärkt und „die Steuersysteme fairer werden“, heißt es in dem EU-Papier.