Kurier

Ansturm auf Pässe wegen Brexit

Nordirland. Um ihren Status als EU-Bürger nicht zu verlieren, suchten Zehntausen­de um einen irischen Pass an

- AUS DUBLIN

Das Hauptposta­mt von Belfast war auf den Ansturm nicht vorbereite­t. „Wegen der starken Nachfrage sind uns die Antragsfor­mulare für irische Reisepässe ausgegange­n. Wir erwarten eine neue Lieferung am Dienstag“, steht auf einem Papier, das beim Eingang aufgehängt wurde. Nach dem Votum der Briten für den Brexit ist die Unsicherhe­it in Nordirland besonders groß. Dort ansässige Briten haben das Recht, sowohl die irische als auch die britische Staatsbürg­erschaft zu besitzen. Um ihren Status als EU-Bürger nicht zu verlieren, suchten Zehntausen­de Nordiren nach dem Referendum um einen irischen Pass an.

Seit fast 20 Jahren ist die Grenze zwischen Nordirland und Irland praktisch nicht mehr existent. Es gibt nicht einmal ein Straßensch­ild, das anzeigt, dass man von einem Land ins andere gekommen ist. Der Abbau der früher schwer bewachten Grenze war Teil des Karfreitag­sabkommens (1998), das den Bürgerkrie­g zwischen mehrheitli­ch protestant­ischen Unionisten und katholisch­en Republikan­ern beendete.

Neue Grenze?

Die den Republikan­ern verhasste 500-Kilometer-Grenze wird es nach dem Brexit wieder geben müssen. „Wenn die britischen EU-Gegner ihre Forderung ernst meinen, dass die Einwanderu­ng kontrollie­rt werden muss, dann muss es Kontrollen geben, um zu verhindern, dass EU-Migranten aus Irland nach Nordirland reisen“, sagt der Journalist Fintan O’Toole.

Auch aus Angst vor diesen Folgen stimmten die Nordiren mit 55,8 Prozent gegen den Brexit. Die Aussicht auf eine neue Grenze ist für viele Republikan­er inakzeptab­el. Der stellvertr­etende Erste Minister Nordirland­s, Martin McGuinness, fordert bereits ein Referendum für eine Wiedervere­inigung mit Irland.

Nordirland­s Regierungs­chefin Arlene Foster, die der Mehrheit der Unionisten angehört, wies das zurück. Der irische Regierungs­chef Enda Kenny lehnte ein Referendum ebenfalls ab. Irlands Außenminis­ter Charlie Flanagan will zumindest warten, bis die EU-Austrittsv­erhandlung­en der Briten abgeschlos­sen sind. Die Wiedervere­inigung sei zwar zu einem späteren Zeitpunkt im Interesse der Bürger. Jedes weitere Referendum in nächster Zeit würde die Teilung aber weiter vorantreib­en, warnte Flanagan.

Folgen für Handel

Irland und Nordirland werden neben den politische­n vor allem mit wirtschaft­lichen Folgen zu kämpfen haben. Die nordirisch­e Wirtschaft­sleistung werde wegen der neuen Zollschran­ken an der EU-Außengrenz­e jährlich um drei Prozent geringer ausfallen, warnte eine Studie der Open University in Bel- fast. Für die Republik Irland ist Großbritan­nien der mit Abstand wichtigste Handelspar­tner in der EU. Nach dem Brexit wird der große Nachbar wohl nicht mehr Teil des Binnenmark­tes sein.

Und doch könnte Irland auch profitiere­n. Britische und internatio­nale Unternehme­n mit Sitz in Großbritan­nien erwägen, nach Dublin umzuziehen oder einen Teil der Mitarbeite­r dorthin zu verlegen. Freitag verbreitet­e sich in London das Ge- rücht, die Bank Morgan Stanley wolle 2000 Mitarbeite­r nach Dublin und Frankfurt umsiedeln. Der irische Ökonom David McWilliams wittert eine „große Chance“für Irland. „Großbritan­nien wird unter komplizier­ten Handelsabk­ommen und ungewissen Zukunftsau­ssichten leiden.“Ausländisc­he Unternehme­r und Investoren würden sich nach Alternativ­en umsehen. „Welches europäisch­e Land ist Großbritan­nien am ähnlichste­n? Richtig geraten: Irland.“

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