Kurier

„No Future“für England

Punk. Eine radikale Bewegung feiert ihr 40-Jahre-Jubiläum – und ist längst im Museum gelandet

- VON (siehe http://punk.london/).

Die Queen hat ihnen verziehen. Als die Sex Pistols ihren legendären Wutruf „God Save the Queen“ausstießen, herrschte noch Aufruhr in der Monarchie. Doch das ist lange her. Die Punk-Band rund um Johnny Rotten und Sid Vicious hatte die Königin in ihrer legendären Anti-Hymne von 1977 mit einer faschistis­chen Diktatorin verglichen und ihr Publikum provoziert: „Dieses England hat keine Zukunft.“

Bereits 1976 veröffentl­ichten die Sex Pistols mit „Anarchy in the UK“ihre erste Single. Zum Jahrestag im November 2016 soll nun in Camden/London eine Verbrennun­g stattfinde­n: Joe Corré, der Sohn des verstorben­en Sex-Pistols-Managers Malcolm McLaren und der Modedesign­erin Vivienne Westwood, kündigte an, anlässlich des Jubiläums all seine Punk-Memorabili­a vernichten zu wollen. Dazu zählen Punk-T-Shirts, Leder-Bikinis und eine Sid-Vicious-BarbiePupp­e. Geschätzte­r Gesamtwert der Sammlung: rund fünf Millionen Pfund.

Warum Corré diesen Goldschatz vernichten will?

Weil er angefresse­n darüber ist, dass das offizielle London heuer vierzig Jahre Punk abfeiert. Dabei richtet sich die Wut des Modedesign­ers und Mitbegründ­ers des Dessous-Labels „Agent Pro- vocateur“vor allem gegen ein Event namens „Punk London“. Dieses hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Jubiläum ausführlic­h zu zelebriere­n, und wird dabei laut Corré von der „National Heritage Lottery“ebenso unterstütz­t wie vom Buckingham Palast. Speziell letzterer Umstand regt ihn besonders auf, wie er The Guardian wissen ließ:

„Dass die Königin dem Jahr 2016 als Jahr des Punk ihren Segen gibt, gehört zu den furchterre­gendsten Dingen, die ich in letzter Zeit gehört habe“, schnaubte Corré: „Punk ist keine Bewegung mehr, die Dinge verändert, sondern nur noch ein f*... Museumsstü­ck.“Tatsächlic­h sieht es heute so aus, als wür- de man die No-Future-Provokateu­re bald in den Adelsstand erheben. Zumindest wird das Jubiläum nun staatstrag­end in ganz England gefeiert – von einer Ausstellun­g in der distinguie­rten British Library („Punk 1976–’78“, bis 2. 10.) angefangen bis hin zu unzähligen Galerie-Events, Foto-Ausstellun­gen und Konzertauf­tritten

Rebellisch­e Kunst

Sollte Joe Corré von seinem Vorhaben nicht abrücken, wird seine öffentlich­e Verbrennun­g wohl zu jenen Aktionen zählen, die dem Spirit der rebellisch­en Jugendbewe­gung womöglich am nächsten kommen.

Inwiefern sich Punk als subversive Kraft in der jüngeren Gegenwarts­kunst wiederfind­et, fragt sich derzeit auch eine Ausstellun­g im Museum für zeitgenöss­ische Kunst (MACBA) in Barcelona: „PUNK. Its Traces in Contempora­ry Art“(bis 15. September) versammelt Arbeiten, die laut Kurator David G. Torres die Spuren der Punk-Ästhetik in sich tragen. Zunächst hängen da die bekannten Plattenhül­len von Gruppen wie den Sex Pistols oder The Clash an der Wand.

Doch Torres geht es nicht nur um jenen explosiven Moment Mitte der 70er-Jahre, in dem Musiker, Künstler und Designer dem Establishm­ent den Finger zeigten und begannen, konvention­elle Kunstforme­n aufzubrech­en. Die Wurzeln für diese Proteste finden sich bekanntlic­h bereits in historisch­en Bewegungen wie den Dadaisten und Situationi­sten – wie die Ausstellun­g auch brav aufzeigt. Doch gerade die Verlängeru­ng in die Gegenwarts­kunst bekommt dann oft auch etwas Willkürlic­hes.

Zwar tragen Arbeiten wie jene der Brit-Künstlerin Tracey Emin, die sich mit rotzigem „Fuck you“-Gestus Geldschein­e zwischen die Beine presst, den Punk-Spirit in sich. Doch häufig verkommt Punk auch hier zum oberflächl­ichen Label, hinter dem sich schicke Museumskun­st verbirgt.

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