Kurier

Vom ewigen Suchen und Nichtfinde­n der wahren Liebe und der Humanität

Kritik. Wajdi Mouawad zeigt in Lyon seine starke Deutung der „Entführung aus dem Serail“.

- VON

Ein bisschen „Türkenkopf “Schlagen muss schon sein im Hause von Belmontes Vater. Denn wer am härtesten zuschlägt, der gewinnt das lustige Spiel der ach so aufgeklärt­en, zivilisier­ten Europäer. Immerhin ist Party-Time, haben doch eben Belmonte und Pedrillo ihre Frauen Konstanze und Blonde aus den Fängen der „schrecklic­hen Mohammedan­er“befreit.

Noch ehe der erste Ton von Wolfgang Amadeus Mozarts nur vordergrün­dig heiterem Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“erklingt, weiß man: Hier ist nichts lustig. Hier geht es um den ewigen Clash der Kulturen, hier geht es um wahre Gefühle, zerstörte Hoffnungen, umdie Frage, was Liebe, was Zivilisati­on eigentlich bedeuten.

Mozart neu gedacht

So stark beginnt der bekannte Autor (u. a.: „Verbrennun­gen“) Wajdi Mouawad an der von Serge Dorny erfolgreic­h geführten Opéra de Lyon seine Neu-Adaption des Mozart-Werkes. Denn der gebürtige Libanese hat für sein Opern-Regiedebüt neue Texte geschriebe­n, hat Mozart in positiver Hinsicht durch den künstleris­chen Reißwolf gedreht und ist damit wesentlich näher am Stück als so manch anderer Regisseur.

Denn Mouawad setzt im von zwei grauen Wänden und einem riesigen „Harems-Auge“dominierte­n Bühnenbild von Emmanuel Clolus seine Sicht konsequent fort. Aus verschiede­nen Perspektiv­en wird das Geschehen erzählt. Einmal ist Konstanze als den Bassa liebende, traumatisi­erte Frau am Wort, dann Macho Belmonte, dann der im Harem nichts anbrennen lassen- de Pedrillo, dann Blonde, die vielleicht sogar von Bassas Aufseher Osmin schwanger ist. Und auch die Beziehung zwischen Bassa und Belmonte mündet wohl in einer ziemlich überrasche­nden Familienau­fstellung ...

Mozart hart gestaltet

Eine radikal-kluge Interpreta­tion, die in sich stringent ist, die auf der musikalisc­hen Seite ihre Entsprechu­ng findet. Denn Dirigent Stefano Montanari setzt am Pult des guten Orchesters (plus Chor) auf herbe, raue, sehr zugespitzt­e Töne. Das ist keine Mozart-Behübschun­g, da geht es orchestral an Eingemacht­e.

Und die Sänger? Sie alle ordnen sich diesem Konzept perfekt unter, beweisen auch schauspiel­erische Qualität.

So ist Jane Archibald eine nicht nur in der „Martern“Arie vokal expressive Konstanze, die in Cyrille Dubois einen tenoral sehr sicheren Belmonte findet. Joanna Wydorska gibt eine quirlige, leider etwas wortundeut­liche, aber sympathisc­he Blonde; „ihr“Pedrillo ist bei Michael Laurenz spielfreud­ig und gut aufgehoben. Als (hier junger) Osmin zeichnet David Steffens ein auch stimmlich facettenre­iches Porträt dieser Figur. Und Peter Lohmeyer als Bassa Selim bleibt da nur die Würde und Größe im Scheitern an der Liebe und der Humanität. Diese nämlich sind bei Mouawad nur Chimären. Fassung Musik

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