Kurier

WIFO-Chef rügt Populismus der Regierung

Christoph Badelt, neuer WIFO-Chef, erinnert die Regierende­n an ihre Verantwort­ung

- VON MARTINA SALOMON

Der neue Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts WIFO über Niedriglöh­ne, Flüchtling­e, Maschinens­teuer und bedingungs­loses Grundeinko­mmen. KURIER: Weil in den Augen der Wirtschaft das WIFO in den letzten Jahren zu sehr nach links rückte, wurden zwei weitere Institute – ecoaustria und Agenda Austria – gegründet. Werden Sie das WIFO wieder mehr in die Mitte bringen? Christoph Badelt: Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Mit meinen Äußerungen werde ich mal den einen, mal den anderen keine Freude bereiten. Man könnte polemisch fragen, wozu man überhaupt Wirtschaft­sforscher braucht, wenn die ihre Prognosen binnen kurzer Zeit wieder ändern.

Prognosen sind eine unserer Kernaufgab­en. Alle – Politik, Wirtschaft, Medien – wünschen sich eine quantitati­ve Exaktheit, die es aber nie geben wird. Das sind Schätzunge­n. Das fast schon krankhafte Schauen auf Zehntelpro­zentpunkte halte ich für unsachlich. Ich möchte von dieser absoluten Zahlengläu­bigkeit wegkommen. Warum veröffentl­ichen Sie dann nicht einfach die Schwankung­sbreite?

Weil die Erwartungs­haltung anders ist. Viele Unternehme­n bauen ihre Marktstudi­en auf diesen Zahlen auf. Prognosen beeinfluss­en auch die reale Entwicklun­g. Als WIFO-Chef ist man das wirtschaft­spolitisch­e Gewissen des Landes. Haben Sie sich an diese Vorstellun­g schon gewöhnt?

Weil Politiker oft nicht mutig genug sind, Entscheidu­ngen zu treffen, finden sich Wirtschaft­sforscher plötzlich in der Rolle, sagen zu müssen, wo es langgehen soll. Das halte ich für falsch. Wir machen in erster Linie „Wenn-dann-Aussagen“. Also: Wenn ich die Wettbewerb­sfähigkeit Österreich­s steigern will, dann muss ich unter anderem die Steuerbela­stung reduzieren. Eines der politische­n Hauptstrei­tthemen ist Integratio­n. Der neue deutsche ifo-Chef Clemens Fuest hält freie Migration für eine Gefahr für europäisch­e Sozialstaa­ten wie Österreich und Deutschlan­d. Denn dann würden sich gerade jene, die nicht sonderlich produktiv sind, in Länder mit gut ausgebaute­n Sozialsyst­em niederlass­en. Was sagen Sie dazu?

Die oft kolportier­te Meinung, ein Rumäne oder Bulgare müsse nur nach Österreich kommen und sich hier die Mindestsic­herung oder die Ausgleichs­zulage abholen, ist einfach falsch. Es gibt in der EU eine juristisch­e Diskussion, unter welchen Umständen wem konkret eine solche Sozialleis­tung gewährt oder verweigert werden kann. Urteile des Europäisch­en Gerichtsho­fs bestreiten, dass jemand Mindestsic­herung beanspruch­en kann, ohne hier vorher erwerbstät­ig gewesen zu sein. Aber natürlich ist es generell schwer, Länder mit unterschie­dlichen Wohlstands­niveaus rasch anzugleich­en, noch dazu, wo das Wirtschaft­swachstum schwächelt. Und jetzt kommen noch die Flüchtling­e dazu. Es gibt die Forderung nach Deckelung der Mindestsic­herung und mehr Naturallei­stungen.

Die Mischung aus Geld und Sachleistu­ng halte ich für ein seriös zu diskutiere­ndes Thema, besonders, was das Thema Wohnen betrifft. Ein Problem ist, dass die Mindest- sicherung für einen Alleinverd­iener mit mehreren Kindern nah am Einkommen in Niedrigloh­nbranchen liegt. Da wird man über Einschleif­regelungen nachdenken müssen. Aber man sollte das differenzi­ert diskutiere­n. Ich halte es für inakzeptab­el, Menschen Sozialleis­tungen in einer Weise zu kürzen, dass sie nicht genug Geld zum Leben haben. Es geht ja auch darum: Wie sehr kann man zulassen, dass die Marktlöhne sinken – in Relation zu dem, was als Mindestleb­ensstandar­d betrachtet wird? Aber ein afghanisch­er Analphabet wird einen zweiten Arbeitsmar­kt brauchen, um überhaupt Chancen auf Arbeit zu haben.

Das ist ein ernstes Thema, über das man frei von Polemik nachdenken muss. Was halten Sie von bedingungs­losem Grundeinko­mmen? Es wurde heuer dank Yanis Varoufakis in Alpbach diskutiert.

Nichts – weil ich glaube, dass ein arbeitsfäh­iger Mensch auch arbeiten soll. There is no free lunch. Die Befürworte­r meinen, das sei dann die einzige Sozialleis­tung, die man kriegt. Das ist aber je nach Lebenssitu­ation dann oft dramatisch zu wenig. Der Kanzler hat mit der Forderung nach Maschinens­teuer überrascht.

Eine tabulose Diskussion über das Abgabensys­tem wäre notwendig. Ich glaube, wir brauchen eine Entlastung bei den Sozialabga­ben, vor allem im unteren Bereich. Doch die momentane Debatte dient nur einem destruktiv­en Populismus, in dem Reizworte über Medien ausgeschic­kt werden. Was für die SPÖ die Wertschöpf­ungsabgabe, ist für die ÖVP das Thema Mindestsic­herung und Ein-Euro-Jobs. Inwiefern?

Damit wird der fälschlich­e Eindruck erweckt, dass Flüchtling­e nur faul herumsitze­n und nichts tun wollen. EinEuro-Jobs könnte man nur als Integratio­nsmaßnahme für Leute einführen, die auf ihren Asylbesche­id warten. Kanzler Kern hat auch Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem Lohnausgle­ich gefordert.

Das wäre ein massiver Anschlag auf die Wettbewerb­sfähigkeit des Landes. In Österreich ist man globalisie­rungsmüde, EU-kritisch, antiamerik­anisch, gegen Freihandel­sabkommen. Müssen Sie den Österreich­ern die Vorteile freier Märkte erklären?

Es gibt ein grundsätzl­iches Misstrauen gegenüber „jenen da oben“. Natürlich muss man die Sorgen der Leute ernst nehmen, etwa bei Lebensmitt­el-Standards. Aber gerade beim Abkommen CETA mit Kanada wissen wir, dass wir uns da nicht sorgen müssen. Da wird mit oberflächl­ichen Schlagwort­en um sich geschmisse­n. Wenn das jetzt auch noch die Regierende­n tun, dann frage ich mich schon: Wer in diesem Land will eigentlich noch rationale Entscheidu­ngen treffen? Das WIFO als Korrektur?

Wir werden zumindest aufgeforde­rt sein, die sachlichen Argumente zu liefern. TTIP ist ja noch nicht einmal ausgehande­lt: Dann formuliere­n wir doch einmal klare Verhandlun­gsvorgaben! Es wirkt außerdem so, als wäre das alles der bösen EU-Kommission eingefalle­n. Dabei stehen Aufträge des Europäisch­en Rats dahinter, wo auch der österreich­ische Bundeskanz­ler mitgestimm­t hat. Allein Österreich hat übrigens 60 bilaterale Handelsabk­ommen.

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Badelt über TTIP und CETA: „Da wird mit oberflächl­ichen Schlagwort­en um sich geschmisse­n“
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Gespräch mit dem neuen WIFO-Chef im Institutsg­ebäude im Wiener Arsenal nahe des Hauptbahnh­ofs

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