Die Rückkehr der Engelmacherin
„Hallo?“, fragte die stark verehrte Kollegin Corinna Milborn vor zwei Tagen auf Facebook, „wo sind denn all diese neuen Mitstreiter hin verschwunden, die die Aufregung über die Burka zum Feminismus bekehrt hat? Wollt ihr nicht was zu Polen, Selbstbestimmung der Frau usw. sagen?“Ja, genau, wo sind jetzt all die Situationsfeministinnen und -feministen, die noch vor ein paar Wochen die Frauen vom Gesichtsschleier befreit haben?
In Polen hat das Parlament gerade das Recht der Frauen abgeschafft, selbst darüber entscheiden zu dürfen, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht, und man hört wenig Protest. Dabei ist das, was hier mitten in der EU passiert, wirklich dramatisch. Und auch in Österreich sollten wir alarmiert sein: kurz vor einer Bundespräsidentschaftswahl, bei der einer der beiden Kandidaten seit Jahren immer gern wieder einmal an der Fristenlösung herumdoktern möchte. In einer Puls4- Debatte, ebenfalls mit Corinna Milborn, forderte er eine Bedenkzeit, 2008 stellte er gemeinsam mit anderen FPÖ-Mandataren in einer parlamentarischen Anfrage u.a. die Fristenlösung als „rechtswidrige Handlung“dar, für die öffentliche Hand „Ressourcen wie z. B. Spitäler zur Verfügung stellt“. Damit sich dann niemand wundert, was alles möglich sein könnte. So wie jetzt in Polen.
Die Fristenregelung trat in Österreich am 1. Jänner 1975 in Kraft. Das war der Tag, ab dem Frauen, die ungewollt schwanger geworden waren, endlich entscheiden konnten, ob sie ein Kind auf die Welt bringen wollen oder nicht. Und ab dem diejenigen, die die Schwangerschaft nicht wollten, nicht mehr ins Ausland reisen oder um ihr Leben bangen mussten, um sie beenden zu können: Und je ärmer die Frau war, desto lebensgefährlicher war das. Denn während wohlhabende Frauen sich einen illegalen Schwangerschaftsabbruch kaufen konnten, starben zahllose Frauen auf den Tischen der Engelmacherinnen.
In Polen, mitten in Europa, soll es jetzt wieder so werden. Das können wir nicht wollen. doris.knecht@kurier.at Doris Knecht