Kurier

Pilze und Angst vor dem Brexit

Wenn die Briten die EU verlassen, müssen viele Iren um ihre Exporte fürchten.

- AUS DUBLIN NICHOLAS BUKOVEC

Kevin Reilly kündigte vor sechs Jahren seinen Job als Finanzbera­ter und übernahm die familienei­gene Pilzfarm im zentral-irischen Athlone. Doch schon bald wird er erneut umsatteln müssen, denn das Unternehme­n mit 70 Angestellt­en steht vor dem Aus. Schuld ist die Brexit-Entscheidu­ng der Briten vor vier Monaten. Seither fiel das britische Pfund im Vergleich zum Euro um ein Fünftel. Das trifft Irlands Pilzfarmen hart. Sie exportiere­n vier Fünftel ihrer Produktion nach Großbritan­nien. Der Verfall des Pfund hat die Ware aus Sicht der Briten stark verteuert.

Fünf von 60 irischen Pilzfarmen mussten den Betrieb einstellen. „Wenn du von einem Farmer hörst, den du kennst, der aufgeben musste, dann trifft dich das. Das ist eine besonders harte Zeit, und viele Arbeitsplä­tze stehen auf dem Spiel“, klagt Reilly.

Nicht nur Pilzfarmen sind in der Existenz bedroht. 44 Prozent der irischen Exporte gehen nach Großbritan­nien. Und das schwache Pfund, das die Exporte einbrechen ließ, könnte nur ein Vorgeschma­ck auf noch größere Probleme sein. Die britische Premiermin­isterin Theresa May hat angedeutet, dass ihr Land einen „harten Brexit“anstrebe: Um der zügellosen Einwanderu­ng von EU-Bürgern einen Riegel vorzuschie­ben, könnte Großbritan­nien den EU-Binnenmark­t verlassen.

Steuer-Drohung

Darunter würde Irland mehr als jedes andere EU-Land leiden. Geht es in den Verhandlun­gen hart auf hart, drohen die Briten, ihre Unternehme­nsteuern von 20 Prozent auf 10 Prozent zu senken. Das würde Firmen aus der EU anlocken und ebenfalls die Iren treffen: Im Moment haben diese mit 12,5 Prozent noch die attraktivs­te Körperscha­ftssteuer in ganz Westeuropa.

„Die britische Entscheidu­ng zum Austritt aus der EU ist eine echte Bedrohung für unsere Wirtschaft“, sagte Irlands Finanzmini­ster Michael Noonan. Wegen des Brexit wird die irische Wirtschaft 2017 wohl nur um 3,4 statt 3,9 Prozent wachsen.

Auch politisch ist der Brexit ein harter Schlag. Weil Großbritan­nien die EU verlässt, wird es wieder eine inneririsc­he Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland geben. Nach dem Karfreitag-Friedensab­kommen von 1998 war die Grenze de facto verschwund­en – was maßgeblich zur Aussöhnung zwischen pro-britischen Unionisten und pro-irischen Republikan­ern nach jahrzehnte­langem Bürgerkrie­g beitrug.

„May sagt ,Brexit bedeutet Brexit‘. Aber so weit es uns betrifft, ist der Brexit eine Katastroph­e“, schimpfte Nordirland­s stellvertr­etender Regierungs­chef, Martin McGuinness. Die Nordiren hatten wie die Schotten mehrheitli­ch gegen den Brexit gestimmt. Sie wurden jedoch von Engländern und Walisern überstimmt.

Bei den bevorstehe­nden heiklen Verhandlun­gen befindet sich Irland in einer schwierige­n Lage. Einerseits hat es ein Interesse, möglichst stark mit Großbritan­nien verflochte­n zu bleiben und einen „har- ten Brexit“zu verhindern. Anderersei­ts muss es mit den 26 verblieben­en EU-Staaten an einem Strang ziehen.

Logische Folge „Irexit“?

Schon werden Rufe laut, Großbritan­nien aus der EU zu folgen. In den Medien ist vom möglichen „Irexit“(irischer Exit) die Rede. Ökonom David McWilliams weist darauf hin, dass es für Irland wirtschaft­lich besser wäre, an das britische Pfund als an den Euro gekoppelt zu sein: „Der Euro war für uns stets eine untaug- liche Währung, umnicht zu sagen eine totale Katastroph­e. Er hat uns erst einen ungebremst­en Aufschwung und dann einen tiefen Absturz gebracht.“

Ken Purcell von der regierungs­kritischen Lobbygrupp­e „Right2Wate­r“sieht die Zeit für ein Referendum über den EU-Austritt Irlands gekommen: „Europa hat unserer Regierung stets diktiert, wo es lang geht. Das hat uns mehr Ungleichhe­it und eine desaströse Sparpoliti­k gebracht. Irland braucht ein neues System – fernab der EU.“

 ??  ?? 44 Prozent aller Exporte Irlands gehen nach Großbritan­nien, bei Pilzen (Bild: Temple Bar Food Market, Dublin) sind es sogar vier Fünftel
44 Prozent aller Exporte Irlands gehen nach Großbritan­nien, bei Pilzen (Bild: Temple Bar Food Market, Dublin) sind es sogar vier Fünftel

Newspapers in German

Newspapers from Austria