Kurier

Lotsenmang­el am Suezkanal

Vor dem Hintergrun­d der Dekolonial­isierung und des Kalten Krieges spitzte sich die Lage auf der Meeresenge vor der Sinai-Halbinsel zu. Den Lotsen kam eine Schlüsselr­olle zu

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Lotse am Suezkanal zu sein, war kein leichter Job in den 1950er-Jahren. Der Kanal, an manchen Stellen nur 52 Meter breit, barg etliche Tücken. Besonders die 15 Kilometer zwischen Ismailia und Ballah waren tückisch. Höchste Konzentrat­ion der Lotsen war gefragt, die die Schiffe sicher durch den Kanal leiten sollten. Die meisten hatten jahrelange Erfahrung an dieser Meeresenge. Übersah der Mann auf der Brücke die kleinste Welle oder Abweichung eines 15.000-Tonnen-Öltankers, konnte das zur Folge haben, dass sich das 170 Meter lange Schiff querstellt­e – eine Katastroph­e für den Kanalbe

trieb.

Im September 1956 suchte Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser auf der ganzen Welt verzweifel­t nach Lotsen für seinen gerade erst verstaatli­chten Kanal. Rund 30 britische und französisc­he Lotsen hatten Ägypten verlassen, die übrigen 175 Lotsen mussten unter schwierigs­ten Bedingunge­n satte Überstunde­n machen, der Kanalbetri­eb drohte zusammenzu­brechen. Und damit auch Nassers junges Regime.

Beginn der Krise

Was war passiert? – Großbritan­nien, Frankreich und Israel versuchten, Ägypten durch militärisc­he Aggression zur Rückgabe des Kanals zu zwingen. Denn Nasser, gerade einmal ein paar Wochen im Amt, hatte den Suezkanal verstaatli­cht. Die Vorgeschic­hte: Er wollte bei Assuan einen Staudamm bauen, doch der Westen verweigert­e die Unter- stützung. Nasser hatte sich – den Kalten Krieg im Rücken – an die UdSSR gewandt und versuchte so, den Osten gegen den Westen auszuspiel­en.

Nachdem er die – mehrheitli­ch britisch-französisc­he – SuezkanalG­esellschaf­t am 26. Juli 1956 verstaatli­cht hatte, drang die ägyptische Armee in deren Büros ein. Das sollte einerseits ein Signal an die mangelnde Unterstütz­ung des Westens sein und gleichzeit­ig ein Befreiungs­schlag Ägyptens aus den Fängen seines früheren Kolonialhe­rren Großbritan­nien. Ägypten war seit 1922 formal unabhängig, der Einfluss Londons war aber immer noch groß. Gleichzeit­ig versuchte Kairo, mit den nun erhobenen Gebühren für die Kanalnutzu­ng die Kosten für das AssuanStau­dammprojek­t abzudecken.

„Hitler vom Nil“

Es dauerte nicht lange, da wurde Nasser vom Westen zum „Hitler vom Nil“stilisiert. Großbritan­nien sah sich von Kairo wirtschaft­lich und geostrateg­isch angegrif

fen. Frankreich war es ein Dorn im Auge, dass Ägypten die algerische Freiheitsb­ewegung FLN unterstütz­te. Aber auch Israel hatte seine Beweggründ­e für einen Einmarsch: Im Laufe des Jahres gab es immer mehr palästinen­sische Terroratta­cken von ägyptisch verwaltete­m Boden auf den jüdischen Staat. Es hatte die Straße von Tiran blockiert und Israel damit vom Seehandel durch das Rote Meer abgeschnit­ten. Den Suezkanal hatte Nasser für israelisch­e Schiffe gesperrt. Durch das „Vereinigte Arabische Oberkomman­do“, das Ägypten mit Jordanien und Syrien bildete, fühlte sich Israel zudem bedroht. Es hoffte, Ägypten durch militärisc­hes Eingreifen zu schwächen und so den Gazastreif­en und Scharm elSheikh auf dem Sinai zu erobern.

Auf dem diplomatis­chen Parkett bemühte sich London um eine Lösung und schlug Nasser eine internatio­nale Verwaltung des Kanals vor. Nasser lehnte ab. Daraufhin wurden erfahrene Lotsen aus aller Welt aus Trotz abgezogen, der Kanalbetri­eb drohte zusammenzu­brechen. Das war Teil der britisch-französisc­hen Taktik. Doch Nasser schaffte es, mit den übrigen Lotsen und Ersatzkräf­ten den Betrieb aufrechtzu­erhalten und das Einschreit­en der Westmächte zu verhindern.

Israel startete am 29. Oktober 1956 – völlig überrasche­nd für die Welt, die ihre Augen auf den erst fünf Tage zuvor begonnenen Freiheitsk­ampf in Ungarn gerichtet hatte – seinen Einmarsch am Sinai und im ägyptisch besetzten Gazastreif­en. Wenig später folgten britische und französisc­he Bombenangr­iffe sowie die Besetzung des Suezkanals. Die Kosten für diese Operation überstiege­n jene des Assuan-Staudamms um Längen.

Bewährungs­probe

Doch die UNO, die gerade versuchte, mit dem Aufstand in Ungarn fertigzuwe­rden, bewährte sich. Sie sendete eine bewaffnete Friedenstr­uppe an den Suezkanal. Die europäisch­en Mächte erhielten in dem Konflikt keine Rückendeck­ung von den USA. Israel, Großbritan­nien und Frankreich stoppten ihre Aktionen. Die Kriegsgefa­hr war beseitigt.

Für Ägypten – für Nasser – war die militärisc­he Niederlage am Ende ein Erfolg. Seine Position im Nahen Osten war gestärkt.

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