Kurier

Gewalt: Es wird langsam besser

Österreich war lange Spitzenrei­ter, Prävention­sprogramme zeigen aber Erfolge

- VON JOHANNA KREID

Es gibt Spitzenplä­tze, die man lieber nicht erreicht: Bei einer europaweit­en Studie im Jahr 2002 lag Österreich an zweiter Stelle, was Gewalt an Schulen betraf – nur in Litauen waren mehr Kinder betroffen. Experten entwickelt­en darauf hin Strategien zur Gewaltpräv­ention, 2008 starteten die ersten Projekte an Schulen in ganz Österreich. Doch was hat sich seither verändert? Der KURIER befragte eine Expertin und besuchte eine Schule in Wien-Favoriten, die in Sachen Gewaltpräv­ention als Vorreiter gilt.

Gewalt kann sich auf vielerlei Weisen äußern: Es gehe nicht nur um körperlich­e Gewalt wie Raufereien, betont Beatrix Haller, stellvertr­etende Leiterin der Schulpsych­ologie-Bildungsbe­ratung in Wien. „Auch üble Nachrede, Ausgrenzun­gen oder Cyber-Mobbing sind Gewalt“, nennt sie einige Beispiele. Damals, im Jahr 2002, gaben etwa 35 Prozent der befragten Schüler an, mindestens ein Mal von Mobbing betroffen oder daran beteiligt gewesen zu sein.

2008 starteten Prävention­sprogramme in Volksschul­en sowie in der Sekundarst­ufe in ganz Österreich. Im Zuge diverser Projekte lernten Schüler, ihre soziale Kompetenz zu stärken, Gefühle von anderen zu respektier­en, und zu erkennen, welche Handlungsm­öglichkeit­en sie ha- ben. Mittlerwei­le gebe es an nahezu jeder Schule zumindest vereinzelt entspreche­nde Projekte. Wichtig sei aber, nicht bloß punktuell externe Experten hinzuzuzie­hen: „Effiziente­r ist, wenn eigens dazu ausgebilde­te Lehrer und Schüler gemeinsam daran arbeiten“, rät Haller.

Vorreiter

Ein Vorreiter diesbezügl­ich ist die Handelsaka­demie und Handelssch­ule in der Pernerstor­fergasse in Wien-Favoriten (BHAK Wien 10). Mehr als 1000 Schüler besuchen hier täglich den Unterricht, 80 Prozent haben Migrations­hintergrun­d. „Wir haben eine gemeinsame Kultur entwickelt“, erklärt Direktor Jörg Hopfgartne­r. Was das in der Praxis heißt? Im Prinzip geht es darum, dass Schüler hier lernen, einander zu helfen. Im Fachjargon spricht man von „Peer-Learning“: Sie können einander als Tutoren oder als sogenannte Peer-Mediatoren beistehen.

„42 unserer Schüler sind Tutoren. Sie bieten Hilfe in Fächern an, in denen sie gut sind“, beschreibt Professor Florian Wallner, Leiter des Peer-Learnings. Es gibt kein spezielles Auswahlver­fahren – wer helfen will, kann mitmachen. „Unser Motto ist: Vorhilfe statt Nachhilfe“, ergänzt der Direktor. „Bevor ein Schüler in einem Fach ein enttäusche­ndes Erlebnis hat, kann er sich Hilfe holen.“

Schüler, die sich als Mediator engagieren, müssen eine Grundausbi­ldung von 72 Einheiten belegen: Dort lernen sie, Konflikte zu erkennen und einzudämme­n.

Obwohl die Ausbildung in der Freizeit stattfinde­t, fungieren aktuell 25 Schüler als Mediatoren: „Wir sind jeden Tag gemeinsam in der Klasse. Da müssen wir lernen, zusammenzu­halten“, schildert Esref, warum Mediatoren wichtig sind. Philipp etwa erzählt, anfangs habe es in seiner Klasse an Respekt gemangelt: „Aber nun haben wir gelernt, wie wir besser kommunizie­ren. Dass wir Ich-Botschafte­n formuliere­n, aber keine Anschuldig­ungen.“

Sevda erzählt: „Ich habe gelernt, aktiv zuzuhören. Wenn jemand etwas sagt, rege ich mich nicht gleich auf, sondern frage, warum er das sagt. Ich sehe die Welt jetzt anders als vorher, und das hilft mir auch sehr im Privatlebe­n.“Dies bestätigt Naoumy: „Keiner macht grundlos Probleme. Wir haben gelernt, nicht zu streiten, sondern zu fragen, was los ist.“

Die Schüler sind sich jedenfalls einig: Das Peer-Programm verbessert­e den Zusammenha­lt. Schön sei, dass man viele Schüler aus anderen Klassen kennenlern­e. „Ich fühle mich in der Schule fast wie zu Hause“, sagt Ajla.

Auch die Forschung bescheinig­t Österreich Fortschrit­te. Alle vier Jahre wird im Zuge der HBSC-Studie (Health Behaviour in School-aged Children) erhoben, wie sich die Gewalt an Schulen entwickelt; die letzte Erhebung stammt aus 2014. Damals landete Österreich immerhin auf Platz vier statt auf Platz zwei – hinter Litauen, Lettland und Belgien. „Eine langsame, aber stetige Verbesseru­ng ist erkennbar“, erklärt Haller. „Und wegen der gestiegene­n Sensibilis­ierung wurden auch mehr Fälle von Gewalt gemeldet. Daher ist der Fortschrit­t größer, als die Statistik auf den ersten Blick vermuten lässt.“

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Gewalt ist weiterhin ein brennendes Problem an Schulen: Betroffene sind häufiger krank und haben meist schlechter­e Noten
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Schüler der BHAK Wien 10: Gemeinsame Spiele sollen das Vertrauen und den Zusammenha­lt stärken
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