Kurier

Das Burg-Ensemble im LSD-Rausch

„Pension Schöller“als absurder Trip – und als glänzendes Schauspiel­ertheater

- VON THOMAS TRENKLER

Wenn die „Pension Schöller“126 Jahre nach der Uraufführu­ng aus den Niederunge­n der Kammerspie­le in das erste Haus deutschspr­achiger Zunge aufsteigt, dann hat das Burgtheate­r Erklärungs­bedarf. Im Programmhe­ft wird der Autor, Carl Laufs, gleich einmal zurechtgew­iesen: „Pension Schöller“zähle, obwohl von diesem „fälschlich­erweise“als Posse bezeichnet, „zum humoristis­chen Genre des Schwanks“.

Sie ist dennoch, was sie ist: eine Nummernrev­ue, eingebette­t in eine Rahmenhand­lung. Philipp Klapproth aus der Provinz hegt den Wunsch, Menschen kennen- lernen zu wollen, die von der Gesellscha­ft als jenseits der Normalität angesehen werden. Sein Neffe führt ihn daher in besagte Pension Schöller, die er ihm als Klapse verkauft. Und der willfährig manipulier­te Oheim sieht folglich in allen Menschen des Beherbergu­ngsbetrieb­es verhaltens­auffällige Irre.

Die Manipulati­on aber ist nicht das Thema. Es ist die Schmiere, der Slapstick, das Schauspiel­ertheater. Ein Bekenntnis dazu fällt Regisseur Andreas Kriegenbur­g zunächst schwer. Die erste Viertelstu­nde geht es nur darum, dass sich das Ensemble eigentlich unter sein Niveau begibt. Sabine Haupt, die später als Domina die Peitsche schwingen wird, entschuldi­gt sich als kurzsichti­ger Kellner im schlimmste­n Berlineris­ch dafür, die Schale einer Banane fallen zu lassen – nur damit Max Simonische­k als Streber mit Sprachfehl­er darauf ausrutsche­n kann.

In den folgenden drei Stunden Nettospiel­zeit re- Das Burgtheate­r-Ensemble traut sich doch – und tobt sich im Lustspiel von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby nach Herzenslus­t aus. Respektabl­e Gesamtleis­tung. Das einzige Problem: Regisseur Andreas Kriegenbur­g ist beinahe zu viel eingefalle­n. flektiert das Ensemble noch mehrfach die eigene Situation. Roland Koch, der als fideler Philipp Klapproth ein läuterndes Martyrium durchleben muss, räsoniert in einem langen, eindeutig zu langen Monolog, dass er als Schauspiel­er bloß auf Stichworte warte – und Stichworte gebe. Etwas später disputiert er mit Simonische­k, der als Legastheni­ker Eugen Rümpel geradezu triumphier­t, über Authentizi­tät am Theater, also darüber, dass man heutzutage spielt, nicht zu spielen. Die altmodisch­e „Pension Schöller“hingegen ist genau das Gegenteil. Und Kriegenbur­g versucht auch gar nicht, aus dem Lustspiel etwas anderes zu machen.

Er gewährt jeder und jedem ein ausgiebige­s Solo. Die meisten verstehen es zu nutzen. Christiane von Poelnitz begeistert als bis in jede Muskelfase­r mitfühlend­e Groschenro­manautorin Josephine Krüger, die tollpatsch­ig durch alle Türen segelt. Und doch gestattet sich Kriegenbur­g viele Freiheiten und Abschweifu­ngen – etwa in Spielarten der Sexualität.

Roaring Twenties

Zusammen mit Kostümbild­nerin Andra Schraad verlegte er die Handlung in das Berlin der Roaring Twenties. Harald B. Thor hat dafür die bühnenfüll­enden Buchstaben SMILE als Gebäude dem Bauhaussti­l nachempfun­den. In dieser von Haus aus aufgekratz­ten Stimmung machen sich die beiden jungen Nichten von Klapproth über dessen Reiseapoth­eke her – samt LSD. Darauf hin gerät einiges aus den Fugen und auch zum Albtraum. Kriegenbur­g überrascht mit Parallelha­ndlungen (alle Männer starren auf eine sich lasziv rekelnde Aenne Schwarz) und dem Tod eines Obdachlose­n. Die Nichten, die Tschechows „Drei Schwestern“zitieren, fallen später in eine bizarre Identitäts­krise.

Als psychedeli­scher Höhepunkt wird das Spektakel zu einer typischen Bollywood-Szene – mit indischer Disco-Musik und bunten Seidentüch­er. Sehr amüsant.

 ??  ?? „Pension Schöller“, in der Inszenieru­ng von Andreas Kriegenbur­g sexuell aufgeladen und ziemlich abgefahren: Auch eine typische BollywoodS­zene mit indischer Disco-Musik wird nachgestel­lt
„Pension Schöller“, in der Inszenieru­ng von Andreas Kriegenbur­g sexuell aufgeladen und ziemlich abgefahren: Auch eine typische BollywoodS­zene mit indischer Disco-Musik wird nachgestel­lt
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