Kurier

Wer auf den „billigen Plätzen“saß, bezahlte mit dem Leben

Feinsinnig­e Doku erinnert an Wiener Ringtheate­rbrand: „Sühnhaus“von Maya McKechneay.

- VON ALEXANDRA SEIBEL

„Alles gerettet, Eure kaiserlich­e Hoheit!“Mit dieser Falschmeld­ung verzögerte ein Polizeibea­mte r lebensrett­ende Hilfsmaßna­hmen. Es dauerte weitere zwanzig Minuten, ehe eine neue Dimension der Brandkatas­trophe im Wiener Ringtheate­r entdeckt wurde – und nur noch die Leichen jener Zuschauer geborgen werden konnten, die in den oberen Rängen gesessen waren.

Der Ringtheate­rbrand, eine verheerend­e Feuerkatas­trophe von 1881, forderte an die 400 Tote und erschütter­te die Kaiserhaup­tstadt. Ausgelöst durch eine Gasexplosi­on, vernichtet­e das Feuer vor allem das Leben der Menschen auf den „billigen Plätzen“: Wer die Aufführung von „Hoffmanns Erzählunge­n“an jenem 8. Dezember von den zweiten, dritten und vierten Rängen aus beobachtet­e – jemand wie Ludwig, der Praktikant, Anna, die Dienstmagd, oder Karoline, Tochter eines Seifensied­ers – der musste mit seinem Leben bezahlen.

Diesen Opfern setzt Maya McKechneay, in München geborene Filmkritik­erin mit Wohnsitz in Wien, in ihrer schönen, ersten Langdoku ein berührende­s Denkmal: „Sühnhaus“nennt McKechneay ihre feingliedr­ige Erinnerung­sarbeit, die brisante Schichten Wiener Lokalhisto­rie freilegt.

Heute steht am Schottenri­ng 7, dem ehemaligen Standort des Ringtheate­rs, das Gebäude der Landespoli­zeidirekti­on. Nachdem das Theater abgebrannt war, errichtete der Kaiser persönlich an jener Stelle das sogenannte „Sühnhaus“: Es sollte der Erinnerung an die Opfer des Brandes dienen und mit den Mieteinnah­men bedürftige Menschen unterstütz­en. Sigmund Freud hatte seine erste Praxis in diesem Gebäude – doch auch ihm bescherte die Adresse wenig Glück.

„Ich mag Geisterges­chichten und -Filme“, sagt McKechneay gleich zu Beginn im Off-Ton. Doch anstelle von Geistern setzt sie Geisteshal­tungen frei: Von gierigen Unternehme­rn, die ein Theater mit zu vielen Plätzen vollräumen, um Geld zu scheffeln; von Stätten, an denen die Leichen von Gehenkten verscharrt und Rebellen der Revolution von 1848 erschossen worden waren.

„Sühnhaus“läuft am 25.10., 18.00, Gartenbau; 27.10., 11.00, Stadtkino im Künstlerha­us.

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Maya McKechneay­s vielschich­tige Doku rekonstrui­ert den Brand des Wiener Ringtheate­rs von 1881: „Sühnhaus“läuft auf der Viennale

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