Wien ist der Magnet für Flüchtlinge
Der Bund erhebt nicht, wohin es Asylberechtigte zieht. Die Mindestsicherung liefert Anhaltspunkte
Es vergeht praktisch kein Tag, an dem sich nicht ein Minister der Bundesregierung zum Asylwesen äußert. Zurzeit reiben sich SPÖ und ÖVP besonders beim Thema Mindestsicherung (siehe auch Seite 3). Eine einheitliche Regelung für ganz Österreich scheint ist in weiter Ferne. Umso bemerkenswerter ist angesichts der hitzigen Debatten über angeblichen Sozialtourismus zwischen den Bundesländern, dass es keine ministerialen Erhebungen dazu gibt, wohin es Flüchtlinge zieht, sobald sie Bleiberecht haben.
Im Innenministerium ist man zwar für die Verteilung von Asylwerbern in Länder- Quartiere zuständig. Und auch die Abwicklung der Asylverfahren werden im Ressort von Minister Wolfgang Sobotka (ÖVP) verantwortet. Der ließ gestern zwar wissen, dass in Österreich derzeit 3175 Personen auf hältig sind, deren Anträge rechtskräftig abgelehnt wurden.
Wo und warum sich Flüchtlinge mit positivem Bescheid niederlassen, wird aber nicht erhoben, heißt es auf Nachfrage beim Innenministerium. Und auch im für Integration zuständigen Außenministerium von Sebastian Kurz (ÖVP) gibt es keine Daten. „Hier gibt es eine Lücke im Monitoring“, sagt Karin Abram, Leiterin der Abteilung Integration, Migration und Asyl der Caritas. Doch die Erfahrungswerte seien eindeutig: „Den Großteil zieht es nach Wien und innerhalb der Bundesländer in die Ballungszentren.“
Das bestätigt auch Saskia Sautner, Sprecherin des Städtebundes: „Es gibt Wanderungsbewegungen vom Land in die Stadt. Das ist ein allgemeiner Trend. Aus Befragungen weiß man, dass es dabei vor allem um Arbeitsplätze und Chancen geht. Das ist auch bei Flüchtlingen so.“
Als Annäherung für die Wanderbewegungen der Asylberechtigten dient die Mindestsicherung. Auf sie ist der Großteil der Menschen zumindest vorübergehend angewiesen, die sich bis spätes- tens vier Monate nach Abschluss ihres Verfahrens eine eigene Wohnung suchen und sich selbst versorgen müssen.
Angesichts der Flüchtlingswelle im Herbst 2015 hat sich die Zahl der Flüchtlinge mit Bleiberecht, die Mindestsicherung beziehen, natürlich in jedem Bundesland erhöht. Doch die Unterschiede zwischen den Ländern, was die Verteilung und Zuwachsraten betrifft, sind eklatant.
Hier zeigt sich gleich mehrfach, dass Wien ein Magnet für Flüchtlinge ist. Bereits im September 2015 versorgte die Bundeshauptstadt in absoluten Zahlen 26.000 Asylberechtigte mit Mindestsicherung. Und damit zwei Drittel dieses Bezieherkreises in ganz Österreich. Dieses Zahl hat sich innerhalb eines Jahres auf aktuell 35.434 Personen (+36 Prozent) gesteigert. Laut der Stadt Wien sind 16.609 davon aus anderen Bundesländern gekommen.
73 Prozent Steigerung
Im benachbarten Niederösterreich, das auf Verschärfungen bei der Mindestsicherung drängt, hat sich die Zahl der als Flüchtlinge ins Land gekommenen Bezieher im gleichen Zeitraum zwar stark (um 73 Prozent) auf 5531 gesteigert. Umgerechnet auf die Bevölkerung ergibt sich aber nach wie vor ein krasses Missverhältnis. In Wien erhalten pro 1000 Einwohner zirka 19 Flüchtlinge Mindestsiche- rung. In NÖ sind statistisch gesehen nur 3,3. Im ebenfalls einwohnerstarken Oberösterreich, das die Bezugsregeln bereits verschärft hat, sind es (Stand Juni) nur etwa 2,3 Flüchtlinge pro 1000 Einwohner, die diese Sozialleistung erhalten.
In der Steiermark ist es einer. Die Zahl der Mindestsicherungsbezieher mit Bleiberecht ist dort gegen den Trend praktisch gleich geblieben. „Wir schätzen, dass jeder Zweite aus der Steiermark weggeht“, sagt Caritas-Expertin Abram. Umgekehrt sei Vorarlberg sehr beliebt. Hier gibt es die größten Zuwachsraten an asylberechtigten Empfängern in ganz Österreich (+79 %).