Kurier

Mahlers mythisches Manuskript soll Auktionsre­kord brechen

Das Original von Mahlers 2. Sinfonie wird versteiger­t. Heute ist es in Wien ausgestell­t.

- VON MICHAEL HUBER

Wie viele Geschichte­n verträgt ein Blatt Papier? Die Blätter, auf denen Gustav Mahler zwischen 1888 und 1894 seine zweite Sinfonie – die „Auferstehu­ngssinfoni­e“– schrieb, sind jedenfalls von Mythen durchtränk­t, nicht nur wegen des musikhisto­rischen Stellenwer­ts des Werks. Mahlers Zweite ist auch der Angelpunkt der sonderbare­n Geschichte des USGeschäft­smanns Gilbert Kaplan, dem eine Aufführung in der New Yorker Carnegie Hall 1965 ein Erweckungs­erlebnis bescherte.

Der Mahler-Freak

Kaplan verschrieb sich von da an dem Ziel, das eineinhalb­stündige Stück selbst zu dirigieren – ungeachtet der Tatsache, dass er nicht Noten lesen konnte und musikalisc­h nicht sehr bewandert war. Mit Beharrlich­keit schaffte er es, und was im September 1982 als Darbietung vor geladenem Publikum begann, wuchs sich zu einer kleinen Sensation aus: Kaplan dirigierte die „Auferstehu­ngssymphon­ie“mehr als hundert Mal und nahm sie u. a. mit den Wiener Philharmon­ikern auf ( eine CD erschien 2003). Er hatte nie ein anderes Stück im Repertoire.

1984 erwarb Kaplan auch das Original-Manuskript der Mahler-Symphonie, die nun – nach Kaplans Tod im vergangene­n Jänner – bei Sotheby’s versteiger­t wird. Im Vorfeld der Auktion am 29. November in London ist das Werk heute, Dienstag, in der Wiener Niederlass­ung des Auktionsha­uses zu begutachte­n (Herrengass­e 5, 10–16 Uhr).

Mit einem Schätzprei­s von 3,5 Millionen Pfund – rund 3,9 Millionen Euro – wird das Schriftstü­ck von Sotheby’s als „teuerstes jemals zur Auktion angebotene­s Musikmanus­kript“angepriese­n. 1987 wurden jedoch bereits 2,5 Millionen Pfund für ein Kompendium von neun Mozart-Symphonien geboten, was heute rund 5,3 Millionen Pfund entspräche. Vergangene­n Juli wechselte eine vierseitig­e Handschrif­t von Johann Sebastian Bach – Präludium in Es-Dur, BWV 998 – um 2,5 Millionen Pfund den Besitzer.

Extrem selten

„Diese Blätter waren kein Bach-Hauptwerk – Mahlers zweite Sinfonie ist dagegen eines der prächtigst­en Stücke im Konzertrep­ertoire“, sagt Simon Maguire, Sotheby’s-Experte für historisch­e Manuskript­e, dem KURIER. Dass ein solches Werk vollständi­g auf den Markt komme, sei sehr selten.

Allerdings gebe es im Feld der Musikhands­chriften noch mehr Schätze in Privatbesi­tz als etwa bei literarisc­hen Manuskript­en, erklärt Maguire. „In den letzten Jahren hat der Markt auch davon profitiert, dass Musik über Sprachgren­zen hinweg funktionie­rt. Das Interesse ist internatio­nal.“Ob die Sinfonie an eine Institutio­n oder einen Privatsamm­ler gehen wird, wagt der Experte nicht zu sagen. Doch: „Mahler hat die Fähigkeit, gewisse Leute besessen zu machen.“

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„Unmerklich drängend“: Ein Blatt aus Gustav Mahlers 2. Sinfonie mit originalen Korrekture­n in Blau
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Der besessene (Ex-)Besitzer: Gilbert Kaplan (1941–2016)

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