Kurier

„‚Tschüss‘ ist eine Möglichkei­t“

Sprache. Wie spricht man richtig im österreich­ischen Rundfunk? ORF-Ausbildner Heindl im Interview

- VON ANNA GASTEIGER

Mit der Skisaison beginnen auch harte Zeiten für sprachsens­itive Ohren. Warum sprechen die ORF- Sportkomme­ntatoren Fremdwörte­r oft so unorthodox aus? Wer bestimmt, wie im ORF gesprochen wird? Und stirbt das Österreich­ische aus?

Andreas Heindl, gebürtiger Oberösterr­eicher, erteilt als Leiter der ORF-Schulungsa­bteilung Redakteuri­nnen die Erlaubnis, on air zu sprechen, und weist Kollegen auf Fehler hin, die er im Radio oder im Fernsehen hört. KURIER: Es gibt eine Datenbank, in der ORF-Mitarbeite­r die korrekte Aussprache von Fremdwörte­rn nachschlag­en können. Haben die Kollegen vom Sport darauf keinen Zugriff? Andreas Heindl: Haben sie schon. Man darf aber die Herausford­erungen des LiveKommen­tierens nicht unterschät­zen: da fahren 30, 40 Fahrer runter. Es ist eine enorme Leistung, punktgenau zu kommentier­en und analysiere­n. Man hat keine Zeit, nachzudenk­en. Selbst wenn sie sich gut vorbereite­t haben, kann es passieren, dass im Eifer des Gefechts ein Name nicht richtig ausgesproc­hen wird.

In der Regel bereiten sich die Kommentato­ren mithilfe der Datenbank vor. Unangenehm fällt es dem Publikum auf, wenn ein Gesprächsp­artner aus der Sport- oder Kulturszen­e Aussprache­gepflogenh­eiten hat, die eigentlich nicht korrekt sind. Wenn die Redakteure jemanden interviewe­n, der den Namen nicht korrekt ausspricht, haben sie die Wahl, ihn zu belehren, was in einem Live-Gespräch unangenehm ist, oder sie übernehmen die Aussprache­varietät. So etablieren sich Fehler. Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Heftig diskutiert wurde die richtige Aussprache des Olympiaaus­tragungsor­tes Sotschi. Sprachwiss­enschaftle­r haben darauf hingewiese­n, dass das O kurz ausgesproc­hen wird. In der Sportlersz­ene haben aber immer alle Sootschi gesagt. Als wir versucht haben, das zu korrigiere­n, ist zeitgleich ein Artikel erschienen, in dem darauf hingewiese­n wurde, dass das lange O richtig sei. Das hat sich dann etabliert. Sprache lebt davon, dass sie gesprochen wird. Gegen gewisse Dinge kommt man nur schwer an.

Ein interessan­ter Fall war auch Frank Stronach. Als er nach Österreich kam, hat er sich selbst nicht dazu geäußert, wie er seinen Namen ausgesproc­hen haben will. Es gab dann alle möglichen Varianten: Fränk Stronäck, Fränk Stronach oder Frank Stronach. Bis ihn jemand selbst gefragt hat: Fränk Stronach. Die Selbstausk­unft wiegt dann ammeisten. So haben wir es dann auch in die Aussprache­datenbank eingegeben. Aber es kann durchaus sein, dass es hartnäckig­e Kollegen gibt, die bei ihrer Variante bleiben. Es gibt einen schwedisch­en Skiaustrag­ungsort, Åre, denn man auf Schwedisch Ore ausspricht, im ORF-Sport hört man aber immer Aare. Warum?

Soll ich nachschaue­n in der Datenbank? Ja, hier steht Ohre. Das wäre ein Fall, wo man die Kollegen darauf hinweisen müsste, dass es falsch ist. Dürfen Co-Kommentato­ren wie Assinger reden, wie sie wollen?

Sie sollen authentisc­h sein, und wenn zum Beispiel Kärntneris­ch herauskomm­t, dann ist das so. Assinger wäre nicht so erfolgreic­h geworden, wenn er vorher seinen Kärntner Dialekt abgelegt hätte. Ich glaube, diese regionale Färbung macht den Charme der Sportübert­ragungen aus. Für uns ist das ein Alleinstel­lungsmerkm­al, das uns von Kommentato­ren aus Deutschlan­d oder der Schweiz unterschei­det. Wie wichtig ist österreich­isches Deutsch im ORF?

Wir sehen uns als öffentlich-rechtliche Rundfunkan­stalt verpflicht­et, die österreich­ische Sprachvari­etät zu pflegen. Das zeichnet uns auch gegenüber anderen Rundfunkan­stalten in Österreich aus, die eine wesentlich stärkere Nähe zu deutschen Sendern haben, weil sie auch ihre Schulungen dort erfahren. Unseren Hörern und Sehern ist das Thema sehr wichtig. Es gibt viele Beschwerde­n, wenn zu viele Germanisme­n oder Anglizisme­n verwendet werden. Unsere Moderatore­n sind dazu angehalten, gemäßigt Hochdeutsc­h zu reden. Die reine Hochlautun­g wird nur in wenigen ausgewählt­en Formaten gesprochen.

Es gibt aber oft Missverstä­ndnisse: wenn Leute z. B. glauben, dass „Paradeiser“österreich­isch ist. Im Osten des Landes wird das große Zustimmung finden, aber westlich vom Mostvierte­l reagieren die Leute empfindlic­h, wenn es zu ostösterre­ichisch wird, und sagen: wir haben Tomaten. Die eigene regionale Färbung ist noch nicht österreich­isch. Da gibt es eine gewisse Vielfalt. Junge Menschen verwenden immer mehr deutsche Ausdrücke. Ist der Kampf um das Österreich­ische schon verloren?

Ich glaube nicht, dass Sprache etwas Statisches ist. Als ich ein Kind war, war es völlig ungewöhnli­ch, dass man sich mit Tschüss verabschie­det. Heute ist das eine Möglichkei­t, ohne dass sich jemand daran stößt. Trotzdem bemühen wir uns, der österreich­ischen Sprachvari­etät den Vorzug zu geben. Was mir auffällt, ist, dass junge Leute auf Facebook sehr umgangsspr­achlich bzw. dialektal kommunizie­ren, weil es eine andere Form der Emotionali­tät und Vertrauthe­it vermittelt. Das hätte ich mich früher nicht getraut. Als ich in die Schule gegangen bin, war das Dialektale fast noch verpönt, jetzt wird es wieder stärker betont. Darum glaube ich, dass es nicht so schnell verloren geht. Müsste der ORF versuchen, junge Seher mit mehr österreich­ischem Programm zu erreichen?

Aus sprachlich­er Sicht überschätz­t man hier den Stellenwer­t des Fernsehens. Es geht eher darum, wie allgemein gesprochen wird. pflegt die gemäßigte Hochlautun­g sehr stark, auch die Regionalse­nder. Problemati­sch wird es dort, wo wenig österreich­isches Radio gehört wird, sondern z. B. Hörbücher, die vorwiegend in Deutschlan­d produziert werden. Und in den Volksschul­en gibt es junge Lehrkräfte, die das österreich­ische Deutsch möglicherw­eise nicht als eigenständ­ige Sprachvari­etät sehen. Wir haben die Auffassung, dass es eine österreich­ische Varietät gibt und dass sie gepflegt gehört. Dürfen sich die Aussprache­igenheiten von Menschen, die nicht in Österreich geboren wurden, im ORF niederschl­agen?

Wir haben Kolleginne­n und Kollegen mit z. B. türkische Wurzeln, das wird man aber in der Regel nicht hören. Wer bei uns arbeitet, sollte eine gewisse Flexibilit­ät mitbringen, sonst wäre das nicht der richtige Beruf für sie. Anderersei­ts gibt es Sendungen, wo eine besondere Färbung durchaus möglich ist – erinnern Sie sich an ( den kroatisch-österreich­ischen Journalist­en; Anm.) Alfons Dalma in der „Zeit im Bild“, der eine sehr markante Sprachfärb­ung hatte. Da geht es um die Persönlich­keit. Wie bei Armin Assinger, dessen Sprachfärb­ung unverzicht­barer Bestandtei­l seiner Präsenz ist. Er spielt mit seinem Dialekt. Das bringt Authentizi­tät. Würde sich aber jemand mit Dialekt beim Aktuellen Dienst bewerben, wäre das ein Grund, ihn nicht zu nehmen.

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Armin Assinger redet als Ski-Co-Kommentato­r, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Heute Abend moderiert er „Neun Plätze, neun Schätze“(20.15, ORF 2) Andreas Heindl (50) studierte u.a. Theaterwis­senschaft und wirkte als TV-Gestalter
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