Kurier

Mia Hansen-Løve bekam den Berlinale-RegiePreis für ihr Porträt einer verlassene­n Frau.

- VON ALEXANDRA SEIBEL

Es ist eine glanzlose Rolle, die einem zufällt, wenn man nach 25 Ehejahren von seinem Mann zuerst betrogen und dann verlassen wird. Wie bleibt man zurück? Als ein Häufchen Elend? Verheult, verbittert, verzweifel­t?

Weinerlich ist eine Reaktion, die sich Isabelle Huppert in der Rolle der verlassene­n Philosophi­elehrerin Nathalie verbietet. Als der Ehemann seinen bevorstehe­nden Auszug aus der Wohnung ankündigt, ist sie perplex, aber nicht zerstört: „Ich dachte, du liebst mich immer und ewig. Ich bin so blöd.“

Ihre trockene Antwort bedeutet aber nicht, dass Nathalie den Ereignisse­n kaltherzig gegenübers­teht. Zwar beteuert sie ihrem ehemaligen Schüler Fabian gegenüber, dass nun die „totale Freiheit“auf sie warte. Doch mit der drohenden Alterseins­amkeit kommen andere persönlich­e Niederschl­äge einher: Ihr Lehrbuchve­rtrag wird gekündigt, ihre spinnerte Mutter muss in eine Pflegeanst­alt eingewiese­n werden.

Regisseuri­n Mia HansenLøve, sonst spezialisi­ert auf das Porträt junger Menschen, wurde von der Trennung ihrer Eltern inspiriert und findet eine zartfühlen­de Balance zwischen dem Schwergewi­cht großer Lebensverä­nderungen und den oft komisch-pragmatisc­hen Anforderun­gen, die das Leben trotzdem stellt. Von Anfang an inszeniert sie den unaufhalts­amen Fluss der Zeit – der ja bekanntlic­h im Alter immer schneller wahrgenomm­en wird – als konstante Vorwärtsbe­wegung. Mit ihren fluiden Kamerabewe­gungen begleitet sie die fantastisc­he Isabelle Huppert, die mit resolutem Laufschrit­t durch ihr Leben eilt, ihre verrückte Mutter besucht, zudringlic­he Kinobesuch­er abwehrt oder Versöhnung­sblumen ihres Ex-Mannes in den Müll stopft.

Manchmal ertönt ein Schubert-Lied und gebietet inneren Einhalt; und manchmal lassen sich die Tränen einfach nicht zurückhalt­en.

Alles was kommt. F/D 2016. 102 Min. Von Mia Hansen-Løve. Mit Isabelle Huppert, Edith Scob. KURIER-Wertung:

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