Kurier

Brexit: Das Parlament wird mitentsche­iden

Gerichtsur­teil. EU-Austritt verzögert sich

- AUS LONDON ROBERT ROTIFER

Die britische Regierung wird nicht allein über den EUAustritt Großbritan­niens entscheide­n, sondern muss das Parlament mit einbeziehe­n – so lautete gestern das Urteil des Obersten Gerichtes. Das bedeutet zwar nicht den Ausstieg aus dem Brexit, wohl aber vermutlich erhebliche Verzögerun­gen beim Auslösen des Austritts-Antrages Londons. Premiermin­isterin Theresa May hatte ja angekündig­t, bis spätestens Ende März den berühmten Artikel 50 in Kraft zu setzen – also den Start der Austrittsv­erhandlung­en mit der EU. Das Parlament aber wird dagegen den Bremsgang einlegen und auf ein Gesetz bestehen, in das noch viele Forderunge­n eingebaut werden könnten. Bisher war eine Mehrheit der Parlamenta­rier gegen den Brexit.

„Brexit heißt Brexit“, tönte der britische Außenminis­ter Boris Johnson erst vorgestern Abend bei einer Preisverle­ihung für die Parlamenta­rier des Jahres, „und wir werden einen titanische­n Erfolg daraus machen“. Auf Englisch hieß das: „a titanic success.“„Aber die Titanic sank!“warf schlagfert­ig der neben ihm auf der Bühne stehende ExSchatzka­nzler Osborne ein.

Keiner der beiden rechnete damit, dass der BrexitDamp­fer schon am nächsten Morgen einen mächtigen Eisberg rammen würde. Da verlautbar­te nämlich der Lord Chief Justice das Urteil des Höchstgeri­chts von England und Wales über eine Klage gegen die britische Regierung, eingebrach­t von einer Gruppe von Individuen rund um eine Investment-Managerin namens Gina Miller und einen Friseur namens Deir Dos Santos. Angefochte­n wurde Premiermin­isterin Theresa Mays Plan, den Artikel 50 zum Verlassen der EU unter Verwendung eines königliche­n Vorrechts („Royal Prerogativ­e“) der Regierung auszulösen.

Der Gerichtsho­f gab der Einschätzu­ng der Kläger recht, dass ein EU-Austritt sie ihrer im Europäisch­en Unionsakt von 1972 verbriefte­n Rechte berauben würde. Jene Rechte wurden vom Parlament in britisches Gesetz überführt. Ihre Auf hebung dürfe somit ebenfalls nur vom britischen Parlament und nicht nur durch eine Weisung der Regierung beschlosse­n werden.

Downing Street hob so- gleich beim Obersten Gerichtsho­f, dem Supreme Court, Berufung gegen dieses Urteil ein. Mit dem offensicht­lichen Risiko, die eilende Angelegenh­eit noch weiter zu verschiebe­n. Schließlic­h will May bis zum März nächsten Jahres den zweijährig­en Austrittsp­rozess aktiviert haben. Sonst würden sich nämlich die Scheidungs­verhandlun­gen mit den Europa-Wahlen 2019 kreuzen.

Während nun der Berufungsp­rozess läuft, häufen sich bereits jede Menge unterschie­dliche Ansichten über die Bedeutung des Urteils. Vor dem Referendum bestand im Unterhaus eine glatte Zweidritte­lmehrheit für den EU-Verbleib. Heute würden bei einem parlamenta­rischen Votum allerdings wohl die meisten Unterhausa­bgeordnete­n das Volksabsti­mmungserge­bnis ihres jeweiligen Wahlkreise­s respektier­en und notfalls gegen die eigene Überzeugun­g pro Austritt stimmen – schon aus karriereta­ktischen Gründen.

Doch wie der High Court in seinem Entscheid feststellt, bedarf es zur Auf hebung europäisch­er Bürgerrech­te durch den EU-Austritt eines eigenen Gesetzesbe­schlusses. Und der will erst einmal zur Befriedigu­ng des Unterhause­s formuliert sein.

Weg vom „hard brexit“

De facto bedeutet das gestrige Urteil – falls die Berufung der Regierung scheitert – also nicht eine Aufhebung des Brexit-Entscheids, aber zumindest eine erhebliche Verzögerun­g seiner Konsequenz­en. Und einen wesentlich­en Schritt weg von der derzeitige­n Regierungs­linie eines „hard Brexit“in Richtung der von der Mehrheit des Unterhause­s angestrebt­en, sanften Lösung eines möglichen Verbleibs im europäisch­en Binnenmark­t.

Vor dem EU-Referendum war viel von der Souveränit­ät des britischen Parlaments gegenüber Brüssel die Rede gewesen. Gestern richtete Kläger Deir dos Santos, übrigens selbst ein BrexitWähl­er, das selbe Argument gegen die britische Regierung in London: „Dieses Urteil“, sagte er, „ist ein Sieg für alle, die an die Hoheit der parlamenta­rischen Demokratie glauben.“

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Premiermin­isterin May darf das Parlament nicht übergehen
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Außenminis­ter Johnson war einer der Kämpfer für einen Brexit

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