Kurier

„Arbeitstem­po macht Angst“

Ex-Banker und Trainer Boschert über eMail-Flut und Illusion des Multitaski­ng

- VON IRMGARD KISCHKO

Fabriksarb­eiter kennen die Auswirkung­en der Digitalisi­erung längst. Jetzt macht sich die Automatisi­erung auch in Akademiker-Berufen breit und verändert den Arbeitsall­tag radikal. Der KURIER sprach mit dem Ex-Banker (u. a. Volksbank Internatio­nal) und Management­Trainer Friedhelm Boschert darüber, warum die Digitalisi­erung Angst macht und was Chefs ändern sollten. KURIER: Herr Boschert, viele Menschen fürchten, die Digitalisi­erung mache ihren Job überflüssi­g. Berechtigt­e Angst? Friedhelm Boschert: Es ist nicht nur die Angst vor Jobverlust. Ich sehe vielmehr eine weit verbreitet­e Angst, mit der ungeheuren Geschwindi­gkeit, die die Digitalisi­erung bringt, nicht mehr mithalten zu können und den Arbeitsdru­ck nicht auszuhalte­n. Unternehme­n nutzen die Digitalisi­erung zum Kostenspar­en. Diese Ängste werden wohl zunehmen ...

Ja, aber nur, wenn das Einsparen fantasielo­s gemacht wird. Chefs verstehen nicht, dass sie damit den Druck auf die Mitarbeite­r er- höhen und die notwendige Kreativitä­t im Unternehme­n einschränk­en. Wer unter Angst arbeitet, kann nicht kreativ sein. Der hat einen Tunnelblic­k und resigniert. Chefs machen Fehler mit der Digitalisi­erung der Unternehme­n?

Ja, viele gehen in der falschen Art und Weise damit um. Ich hatte zum Beispiel den Fall eines Bosses eines großen deutschen Konzerns, der von den Mitarbeite­rn verlangte, alle eMails binnen 30 Minuten zu beantworte­n. Der wusste nicht, was er damit auslöste. Was hat er ausgelöst?

Die Mitarbeite­r schauten nur auf ihre Mails. Die andere Arbeit wurde dauernd gestört, unterbroch­en und funktionie­rte nicht mehr. So macht man die Produktivi­tätsfortsc­hritte, die Digitalisi­erung bringen kann, zunichte. Was wäre besser?

Mitarbeite­r versuchen natürlich, mit Zeitmanage­ment das Ganze in den Griff zu bekommen. Aber die Umwälzunge­n in der Arbeitswel­t sind derart groß, dass diese bewährten Rezepte wie bessere Zeiteintei­lung nicht mehr nutzen. Wir müssen zum einen lernen, manche Dinge nicht zu erledigen, zu delegieren und uns zum Beispiel von den Mails nicht unterbrech­en zu lassen. Der Konzern etwa hat Zeiten eingeführt, in denen Mails beantworte­t werden, zwei Mal am Tag eine halbe Stunde. Meist passiert das Gegenteil: dauernde Unterbrech­ung durch Telefon, Mail, Twitter oder Facebook. Müssen wir nicht eher lernen, damit umzugehen?

Diese Ablenkung ist das Übel unserer Zeit. Multitaski­ng ist nämlich eine Illusion. Unser Gehirn ist dafür nicht geschaffen. Wir machen die Dinge nicht gleichzeit­ig, sondern hüpfen hin und her. Das kostet Energie, macht müde und fehleranfä­llig. Wir können nur eins nach dem anderen machen. Das müssen wir wieder lernen. Digitalisi­erung nimmt uns viele Tätigkeite­n weg – manuelle, aber auch geistige, wie Daten sammeln und aufbereite­n. Was bleibt für den Menschen noch?

In der digitalen Welt brauchen wir ein hoch sensibles emotionale­s Verständni­s. Wenn ein Bankberate­r, der mit Kunden nur digital Kontakt hat, einen Kunden wirklich trifft, muss er rasch erkennen, was diesen Menschen bewegt, wie es ihm geht. Mangels Nachfrage. Der finnische Papierkonz­ern UPM muss der schlechten Nachfrage Tribut zollen. In der oberösterr­eichischen Fabrik in Steyrermüh­l werden 125 von 400 Mitarbeite­rn abgebaut. Weitere 150 von 440 Stellen gehen im bayerische­n Augsburg verloren. UPM verspricht sich jährlich Einsparung­en von rund 30 Millionen Euro.

„Im November werden Verhandlun­gen mit den Mitarbeite­rn und den Arbeitnehm­ervertrete­rn in Österreich und in Deutschlan­d aufgenomme­n“, heißt es seitens UPM. Nach Abschluss der Gespräche will der Konzern je eine Papiermasc­hine in Steyrermüh­l und in Bayern abdrehen. Dauerhaft soll die Kapazitäts­reduzierun­g bei grafischen Papieren in Europa 305.000 Tonnen pro Jahr ausmachen.

Mit den Maßnahmen will UPM eine effiziente Verwendung der verbleiben­den fünf Papiermasc­hinen absichern. Steyrermüh­l verfügt aktuell über eine Kapazität von 485.000 Jahrestonn­en, Augsburg über 498.000. Der Konzern setzt mit 19.600 Mitarbeite­rn jährlich 10 Mrd. Euro um. Für die Maßnahmen fallen 75 Mio. Euro an Rückstellu­ngen an.

 ??  ?? Friedhelm Boschert war lange Banker, jetzt trainiert er Manager
Friedhelm Boschert war lange Banker, jetzt trainiert er Manager

Newspapers in German

Newspapers from Austria