Thesen, die die Welt veränderten
Ein Jahr vor dem 500. Jubiläum wird Martin Luther groß gefeiert – was aber wollte er?
Hat er seine 95 Thesen persönlich mit dem Hammer an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt, oder war es jemand anderer?
Fest steht: Am 31. Oktober 1517 hingen Martin Luthers Thesen in Wittenberg an der Kirchentür. Jüngsten Forschungen zufolge, war es angeblich der Hausmeister. Gleichzeitig schrieb Luther einen Brief an seinen kirchlichen Vorgesetzten Kardinal Albrecht. Luther brachte mit beidem die Grundfeste der Kirche ins Wanken. Grund für die Evangelische Kirche zwölf Monate vor dem 500. Jubiläum das „Reformationsjahr“auszurufen. Ein Programm-Reigen, der besonders in Deutschland groß gefeiert wird. Und bei dem sich alles um den Mann aus Wittenberg dreht.
Was er wollte
Verehrt wurde er bereits 100 Jahre nach seinem Tod. Bis heute. „Was Luther wollte – seine Glaubenslehre – rückte in den vergangenen Jahren in den Hintergrund,“sagt Wolfgang Breul, Theologe und Historiker an der Universität Mainz. Was Luther nicht wollte, ist umso bekannter: Es steht in jenem Brief, den er an Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg schrieb. Darin kritisierte er die Finanzierungspraxis der katholischen Kirche. Seit Jahren verdiente sie an der Angst der Menschen. Wer ein sündenbefreites Leben im Paradies führen wollte, konnte sich dies in Form von Ablassbriefen erkaufen.
Der Ertrag floss etwa in den Bau des Petersdomes, den Papst Julius II. in Auftrag gab. Sein Nachfolger Leo X. setzte ihn fort. Ebenso den Ablasshandel. Sein „Partner in Crime“war Albrecht von Brandenburg – dieser kaufte beim Vatikan Titel ein und stand dort in Geldschuld, ebenso beim Bankhaus der Fugger. Um Geld einzutreiben, schickte er den Ablassprediger Johann Tetzel durchs Land.
Als der Wittenberg erreichte, platzte Luther der Kragen, und er griff zur Feder: „Ich klage dabei nicht so sehr über das Geschrei der Ablassprediger, das ich persönlich nicht gehört habe. Wohl aber bin ich schmerzlich erzürnt über die grundfalsche Auffassung, die das Volk daraus gewinnt und mit der man sich überall öffentlich brüstet.“
Luther ist zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter. Als Sohn einer Bergwerksunternehmer-Familie 1483 in Eisleben geboren, studierte er auf Wunsch des Vaters Jus, ging aber 1505 ins Kloster zu den Augustiner-Eremiten in Erfurt. Dort stieg er in der Hierarchie schnell auf, wurde zum Priester, später zum Professor in Wittenberg. Und das, obwohl sein Charakter als auf brausend, stur und eigenwillig beschrieben wird. So geht es zumindest aus seinen Schriften hervor.
Diese Sturheit war vielleicht mit dafür verantwortlich, dass er eine religiöse Re- volution anzettelte. Seine erste These beschreibt im Grunde die Botschaft der Reformation, erklärt Historiker Breul. So genügt es, laut Luther nicht, irgendwelche Werke und Ablassbriefe zu kaufen. „Die christliche Existenz muss von Christus geprägt sein, und Buße heißt, dass man ein auf Gott und die Welt gerichtetes Leben führen soll.“Gute Werke tun, wie es die römisch-katholische Kirche vorschreibt, reicht nicht aus, denn man sei zuerst auf die Gnade Gottes angewiesen. Breul: „Das verändert so, dass man in der Lage ist, gute Werke zu tun, ohne darüber nachzudenken.“
Mit seinem Brief und den Thesen traf Luther den Nerv der Zeit, schreibt Tillmann Bendikowski in seinem Buch „Der deutsche Glaubenskrieg“. Die Neuzeit, also die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, ist geprägt von Bewegung: Entdecker auf Landund Seeweg machen sich auf, um fremde Orte aufzuspüren. Die Erfindung beweglicher Lettern revolutionierte den Buchdruck.
Diese Dynamik machte auch vor dem christlichen Glauben nicht halt. Die Menschen waren zwar fromm, gleichzeitig übten sie Kritik an der Kirche – über den Ablasshandel hinaus. Sie begannen das Auftreten der Geistlichen und ihre gesellschaftliche Führungsrolle anzuzweifeln. Dafür verfolgte und maßregelte man sie.
Wie später auch Martin Luther, der noch heute unter Kirchenbann steht. Bevor es so weit kam, nutzt er die Kraft der damaligen Medien, ließ seine Thesen auf Plakat drucken, publizierte Bücher, sandte eine seiner Schriften („Von der Freiheit eines Kirchenmenschen“, Anm.) an Papst Leo X. Dieser erklärte ihn zum Häretiker.
Für den Experte Breul zeigte Luther auf, dass man seinem Gewissen mehr folgen muss als den Anweisungen von Autoritäten. „Laut ihm ist das Gewissen die letzte Instanz, allerdings das von Gott bestimmte Gewissen oder jenes von seinem Gegenspieler, dem Teufel. Damit leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Moderne.“
Anti-Judaismus
Weniger modern waren Luthers Ansichten gegenüber anderen Religionen, wie etwa dem Judentum. „Er war kein Antisemit, weil das Rassenvorstellung voraussetzt“, erklärt Wolfgang Breul. Sein Anti-Judaismus war religiös motiviert. Und sein Hass schlug sich auch bei Gegnern innerhalb der Reformationsbewegung, nieder – den Täufern sowie den Muslimen. Und das obwohl Luther das Wort Toleranz ins Deutsche einführte.
Experten sind sich einig: Luther hat die Reformation vorangetrieben, war aber nicht das Maß aller Dinge. „Er hat mit seinem persönlichen Auftreten die Grundlage für den Protestantismus geschaffen, es gibt aber noch viele andere Reformatoren, die Großes geleistet haben“, sagt Kirchenhistoriker Breul. „Ich denke da Jan Hus in Prag oder an die Waldenser in Italien“, ergänzt der österreichische Bischof Michael Bünker. Für ihn ist dies ein Mitgrund, warum hierzulande kein „Luthersondern ein Reformationsjubiläum“gefeiert wird.