„Über Umwege führte es auch zu Demokratie“
Was wir von Luther lernen können
KURIER: Herr Bischof, Luther ist derzeit omnipräsent: Wie ist Ihre Sicht auf ihn? Michael Bünker: Er ist eine der faszinierendsten Gestalten der deutschen Geschichte, nicht nur jener der Kirche. Mit seiner Bibel-Übersetzung trug Luther wesentlich zur Entstehung der deutschen Schriftsprache bei. Zu seiner Persönlichkeit: Man weiß nicht, war er noch ein Kind des Mittelalters oder schon mit einem Fuß in der Neuzeit. In der Bildungsfrage – dass Länder und Städte verantwortlich sind, Schulen einzurichten – war er sicher „modern“. Sein Teufelsglaube und seine Feindseligkeit gegenüber Juden zeigen ihn aber als mittelalterlichen Menschen.
Reformation war mehr als das, was von Luther ausgegangen ist. Was sind die wesentlichen Punkte?
Die persönliche Freiheit und Gewissensfreiheit: Es braucht keine Autorität, die zwischen dem einzelnen Menschen und Gott vermittelt. Das hat sehr viel an persönlicher Freiheit und Selbstständigkeit bewirkt. Über Umwege führte es auch zu Demokratie. Und dass Kirche nicht eine Sache von Institutionen und Organisationen ist, sondern von allen, die dazu gehören und gleichermaßen mitgestalten. Dadurch ist hier eine neue, im weitesten Sinne auch politische, Kultur entstanden. Welche Lehren können wir heute aus der Reformationsbewegung ziehen?
Oft hört man, es würde jeder Religion gut tun, eine Reformation zu haben. Die römisch katholische Kirche hat etwa im Zweiten Vatikanischen Konzil vieles davon umgesetzt, was 500 Jahre zuvor in der Reformation aufgebrochen ist: Konzentration auf die Bibel, Beteiligung der Christen am Gottesdienst in der Landessprache. Das ist ein typisch evangelisches Erbe. Dass sich diese Kirche selbst kritisiert und reformierbar ist, führt dazu, dass man mit den eigene Grundlagen in einer aufgeklärten Weise umgeht. Taugt der Reformator Luther heute als Idol?
In bestimmten Dingen schon. Es ist mutig, sich hinzustellen und zu sagen: ‚Mein in Gottes Wort gefangenes Gewissen und die Vernunftgründe sind stärker, als jede Autorität.‘ Diese Haltung beeindruckt mich. Da können wir uns heute schon etwas abschauen von ihm.