So kommt der Wurm ins Ohr
Wie schafft es ein Lied in die musikalische Endlosschleife? Darauf hat die Wissenschaft nun eine Antwort
Sie kommen aus dem Nichts, setzen sich in unseren Köpfen fest und bleiben. Und bleiben. Und bleiben. Bis sie eines Tages völlig unvermittelt wieder verschwinden. Die Rede ist von Ohrwürmern, benannt nach den gleichnamigen Insekten, die früher pulverisiert als Medizin gegen Ohrkrankheiten oder Taubheit in den Gehörgang verabreicht wurden.
Warum manche Musikstücke hängen bleiben und andere nicht, ist schon seit einigen Jahren Gegenstand der Forschung. Jetzt gibt es eine neue Studie: Forscher der Durham University, University of London und Universität Tübingen wollten wissen, was die musikalischen Voraussetzungen für einen Ohrwurm sind. Die Ergebnisse wurden im Journal Psychology of Aesthetics, Creativity and the Arts veröffentlicht. „Lieder, die in den Köpfen der Menschen hängen bleiben, haben ein schnelles Tempo, eine gängige Melodie sowie ungewöhnliche Intervalle oder Wiederholungen – so, wie wir sie am Anfang von ‚ Smoke on the Water‘ oder im Refrain von ‚Bad Romance‘ hören können“, erklärt Studienautorin Kelly Jakubowski vom Musikinstitut der Durham University.
Faktor Radio
Ein Beispiel für eine der gängigsten Melodien der westlichen Musik ist das englische Wiegenlied „Twinkle Twinkle Little Star“, so Jakubowski: „Unzählige andere Kinderreime folgen diesem Schema, weil sich Kinder besser daran erinnern. Auch ‚Moves Like Jagger‘ von Maroon 5 folgt diesem Muster.“
Der Hit der amerikanischen Pop-Gruppe war einer der meistgenannten Titel in der Umfrage, die Jakubowski mit ihrem Team von 2010 bis 2013 durchführte. 3000 Personen gaben darin ihren jüngsten Ohrwurm an (siehe Liste links). Die Top-100-Lieder wurden mit den Melodien von anderen Stücken verglichen, die kommerziell ähnlich erfolgreich waren, aber kein einziges Mal als Ohrwurm genannt wurden.
Die Liste der am häufigsten genannten Titel belegt erstmals eine weitere Annahme: Lieder, die oft im Radio laufen oder gerade in den Charts sind, haben ein größeres Ohrwurm-Potenzial.
Faktor Langeweile
Vor der musikalischen Endlosschleife ist fast niemand gefeit: 90 Prozent haben mindestens ein Mal pro Woche eine hartnäckige Melodie im Ohr, ergab die Studie eines finnischen Kognitionsforschers – Menschen, die sensibel sind oder sich viel mit Musik beschäftigen, noch öfter, berichtet Kelly Jakubowski. „Wir neigen zu Ohrwürmern, wenn wir mit einfa- chen Routine-Aufgaben beschäftigt sind: Geschirr abwaschen, eine lange, leere Straße entlang fahren, staubsaugen. Dann können die Lieder freie Kapazitäten des Gedächtnisses besetzen.“
Die unbewusste SongAuswahl erfolgt aus verschiedenen Gründen – weil man das Lied vor Kurzem gehört hat oder ein Wort liest, das einen an den Songtext erinnert. Auch unterschwellige Gehirnreize, wie ein Geruch, den man beim Konzert gerochen hat, können die Erinnerung an ein Lied auslösen.
Die Endlosschleife im Ohr ist übrigens nicht zwangsläufig unangenehm, fand der US-Psychologe Ira Hyman 2013 heraus: Man behält sogar öfter Songs im Ohr, die man mag, als solche, die einen nerven. Dass Ohrwürmer als Tortur gelten, erklärt Hyman mit einer verzerrten Wahrnehmung. Gegen das Lieblingslied hat wohl keiner was – „Last Christmas“kann einem den Tag hingegen schon ziemlich vermiesen. Gern geschehen.