Kurier

So kommt der Wurm ins Ohr

Wie schafft es ein Lied in die musikalisc­he Endlosschl­eife? Darauf hat die Wissenscha­ft nun eine Antwort

- VON JULIA PFLIGL

Sie kommen aus dem Nichts, setzen sich in unseren Köpfen fest und bleiben. Und bleiben. Und bleiben. Bis sie eines Tages völlig unvermitte­lt wieder verschwind­en. Die Rede ist von Ohrwürmern, benannt nach den gleichnami­gen Insekten, die früher pulverisie­rt als Medizin gegen Ohrkrankhe­iten oder Taubheit in den Gehörgang verabreich­t wurden.

Warum manche Musikstück­e hängen bleiben und andere nicht, ist schon seit einigen Jahren Gegenstand der Forschung. Jetzt gibt es eine neue Studie: Forscher der Durham University, University of London und Universitä­t Tübingen wollten wissen, was die musikalisc­hen Voraussetz­ungen für einen Ohrwurm sind. Die Ergebnisse wurden im Journal Psychology of Aesthetics, Creativity and the Arts veröffentl­icht. „Lieder, die in den Köpfen der Menschen hängen bleiben, haben ein schnelles Tempo, eine gängige Melodie sowie ungewöhnli­che Intervalle oder Wiederholu­ngen – so, wie wir sie am Anfang von ‚ Smoke on the Water‘ oder im Refrain von ‚Bad Romance‘ hören können“, erklärt Studienaut­orin Kelly Jakubowski vom Musikinsti­tut der Durham University.

Faktor Radio

Ein Beispiel für eine der gängigsten Melodien der westlichen Musik ist das englische Wiegenlied „Twinkle Twinkle Little Star“, so Jakubowski: „Unzählige andere Kinderreim­e folgen diesem Schema, weil sich Kinder besser daran erinnern. Auch ‚Moves Like Jagger‘ von Maroon 5 folgt diesem Muster.“

Der Hit der amerikanis­chen Pop-Gruppe war einer der meistgenan­nten Titel in der Umfrage, die Jakubowski mit ihrem Team von 2010 bis 2013 durchführt­e. 3000 Personen gaben darin ihren jüngsten Ohrwurm an (siehe Liste links). Die Top-100-Lieder wurden mit den Melodien von anderen Stücken verglichen, die kommerziel­l ähnlich erfolgreic­h waren, aber kein einziges Mal als Ohrwurm genannt wurden.

Die Liste der am häufigsten genannten Titel belegt erstmals eine weitere Annahme: Lieder, die oft im Radio laufen oder gerade in den Charts sind, haben ein größeres Ohrwurm-Potenzial.

Faktor Langeweile

Vor der musikalisc­hen Endlosschl­eife ist fast niemand gefeit: 90 Prozent haben mindestens ein Mal pro Woche eine hartnäckig­e Melodie im Ohr, ergab die Studie eines finnischen Kognitions­forschers – Menschen, die sensibel sind oder sich viel mit Musik beschäftig­en, noch öfter, berichtet Kelly Jakubowski. „Wir neigen zu Ohrwürmern, wenn wir mit einfa- chen Routine-Aufgaben beschäftig­t sind: Geschirr abwaschen, eine lange, leere Straße entlang fahren, staubsauge­n. Dann können die Lieder freie Kapazitäte­n des Gedächtnis­ses besetzen.“

Die unbewusste SongAuswah­l erfolgt aus verschiede­nen Gründen – weil man das Lied vor Kurzem gehört hat oder ein Wort liest, das einen an den Songtext erinnert. Auch unterschwe­llige Gehirnreiz­e, wie ein Geruch, den man beim Konzert gerochen hat, können die Erinnerung an ein Lied auslösen.

Die Endlosschl­eife im Ohr ist übrigens nicht zwangsläuf­ig unangenehm, fand der US-Psychologe Ira Hyman 2013 heraus: Man behält sogar öfter Songs im Ohr, die man mag, als solche, die einen nerven. Dass Ohrwürmer als Tortur gelten, erklärt Hyman mit einer verzerrten Wahrnehmun­g. Gegen das Lieblingsl­ied hat wohl keiner was – „Last Christmas“kann einem den Tag hingegen schon ziemlich vermiesen. Gern geschehen.

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