Marilyns Rock flog im Kino anders
Die Schau „Film-Stills“präsentiert Filmstandfotos als eigenständige, innovative Bildform
Es ist fast ein Naturgesetz, dass bestimmte Medienformen erst als kulturelle Entwicklungen gewürdigt werden, wenn sie im Verschwinden begriffen sind. Zwar sind Filmstandbilder nicht ganz tot – zu jedem Blockbuster gibt es ein paar Motive, die immer wieder reproduziert werden. Aber die Zeiten, als man vor dem Kino in Schaukästen starrte, um sich anhand von Hochglanz-Abzügen ein Bild dessen zu machen, was einen im Saal erwartete, sind vorbei: Man hat den YouTube-Trailer ja in der Hosentasche.
Eigenleben
Das Österreichische Filmmuseum aber sammelte die Promotion-Fotos, die oft nach Gebrauch weggeworfen wurden, in großer Zahl. Auf Basis der Bestände führt die Schau „Film-Stills“in der Albertina (bis 26.2.2017) eindrucksvoll vor Augen, welches Eigenleben die Standbilder von der Frühzeit des Kinos bis Mitte der 1970er-Jahre führten und in welch vielfältiger Weise sie sich von Filmbildern unterscheiden.
„Film-Stills“waren nie ein Nebenprodukt, sondern entstanden als bewusste Insze- nierungen, die Filmszenen „auf den Punkt bringen“, zugleich aber die ästhetischen Vorstellungen des Regisseurs nachahmen mussten. Einige der dienstbaren Fotografen-Geister kennt man noch beim Namen – etwa Don English, der Marlene Dietrich für Josef von Sternbergs „Shanghai Express“(1932) ikonenhaft inszenierte, oder Horst von Harbou: Er schuf etwa die prägnanten Standbilder für Fritz Langs Filmwerke „Die Nibelungen“(1922/’23) und „Metropolis“(1925/’26), für die seine Schwester Thea die Drehbücher verfasst hatte.
Gerade Harbou gestaltete seine Fotos gern nach Vor- bildern aus der bildenden Kunst: Der Vergleich eines Blattes der „Nibelungen“-Saga des Secessions-Künstlers Carl Otto Czeschka mit einem Foto Harbous lässt in der Schau keinen Zweifel daran.
Durchlässige Bilder
Kurator Walter Moser – er war 2008–2011 im Filmmuseum tätig und ist nun Foto-Sammlungsleiter der Albertina – zeigt „Film-Stills“auch sonst als ein Medium, das unglaublich durchlässig für verschiedenste Einf lüsse blieb: Die Avantgarde-Collage fand durch das Schlupfloch der Film-Promotion ebenso Eingang in die Kino-Schaukästen wie die Ästhetik der Modefotografie oder der auf den „entscheidenden Augenblick“zielende ReportageStil. Der Schnappschuss setzte sich am ehesten bei „Autorenfilmern“wie Pier Paolo Pasolini oder Jean-Luc Godard durch, die den Fotografen am Filmset viel Autonomie zugestanden.
In der Wahrnehmung des Publikums aber hatten „spontane“und hochgradig artifizielle Bilder denselben Effekt: Sie brannten sich in das Gedächtnis ein und wurden zu visuellen Kürzeln, die einen Film oder einen Star dauerhaft festhielten.
Dabei kamen viele der berühmtesten Motive in den Filmen gar nicht vor. So wurde das Bild aus „Das verflixte 7. Jahr“, in dem ein Windstoß aus dem U-Bahn-Schacht Marilyn Monroes Rock hebt, zur Vorlage für Posters und Statuen des Stars, die Szene aber wurde mehrfach fürs Foto gestellt: Im Film ist Monroe nie ganzfigurig zu sehen.