Wunderkind wider Willen
Der 29-jährige Trainer führte Hoffenheim von einem Abstiegsplatz ins Spitzenfeld. Ein Pendant ist in Österreich nicht zu sehen
„Ich hoffe für Nagelsmann nur das Beste. Das Beste ist, irgendwann mal die beste Mannschaft der Welt zu trainieren. So in zehn, 15 Jahren“, hatte Carlo Ancelotti im Vorfeld des gestrigen Spiels seiner Bayern gegen Hoffenheim gesagt. Nach 90 Minuten musste der Starcoach seinem um 28 Jahre jüngeren Widerpart zu einem Punkt in München gratulieren. Die Bayern und Hoffenheim trennten sich 1:1. Eine respektable Vorstellung Hoffenheims.
Dabei ist es gar nicht lange her, da wurde Nagelsmann noch verschmäht und belächelt. Als „TrainerBubi“etwa, als „Lausbub“von der Sportbild oder gar als „Hoffenheimer Schnapsidee“von der Frankfurter Rundschau bei seiner Bestellung am 11. Februar. 28 Jahre, sechs Monate und 15 Tage jung war der jüngste Cheftrainer der deutschen Bundesliga-Geschichte damals.
Nackte Tatsachen
„Wunderkind“sagen viele heute. Auch das will er nicht hören. „Das bin ich nicht. Ich habe hart gearbeitet und viel gelernt, um diesen Job zu machen.“Dass seine Beförderung wenig mit einer illustren Schnapsrunde im Klubvorstand zu tun hatte, belegen nackte Tatsachen. Als Nagelsmann das Team übernommen hat, war man mit sieben Punkten Rückstand auf das rettende Ufer Vorletzter.
Doch wer ist dieser Julian Nagelsmann überhaupt? Er kickte in der Jugend von 1860 München und beim FC Augsburg, wo er im Alter von 20 Jahren seine Karriere aufgrund eines Meniskus- und Knorpelschadens beenden musste. Er begann umgehend damit, für Thomas Tuchel – seinen Trainer in der zweiten Mannschaft der Augsburger – Gegner zu beobachten.
Schicksalsschlag
Auch privat musste Nagelsmann früh Verantwortung übernehmen. Praktisch zeitlich einher mit seinem Karriereende ging der Tod seines Vaters. „Ich hatte kaum Zeit, jung zu sein“, sagt Nagelsmann, der 2010 als Trainer in der Jugend von Hoffenheim seinen ersten Job als Unter-17-Co-Trainer bekam. 2014 wurde er als Chefcoach mit der U-19 Deutscher Meister.
Und Nagelsmann wäre wohl kaum erfolgreich, hätte er nicht ganz klare Prinzipien. Über allem stehe bei ihm ein Zwei-KontaktePrinzip, wie er der Frankfurter Allgemeinen verriet. „Die Spielbeschleunigung durch einen direkten Pass wird oft dadurch kaputt gemacht, dass ein Pass nicht sauber gespielt wird. Die Wahrscheinlichkeit, dass du zehn Direktpässe so perfekt spielst, dass du a) zum Abschluss kommst und b) wirklich schneller bist als mit zwei kontrollierten Kontakten, ist sehr gering“, verrät er.
Den Beweis, Hoffenheim trai- nieren zu können, hat Nagelsmann also längst erbracht. Doch könnte er auch die Admira, Ried oder den WAC coachen?
Es liegt der Verdacht nahe, dass Nagelsmann in Österreich die UEFA-Pro-Lizenz, die ein Trainer in der höchsten Spielklasse braucht, noch gar nicht in der Tasche hätte. Der Weg zur höchsten Trainerausbildung ist beim ÖFB ein steiniger, sofern man keinen Namen hat. Schon an der Basis werden ehemalige Profis bevorzugt. Sofern man zehn Länderspiele oder 150 Einsätze in der Bundesliga vorweisen kann, muss man im Zuge eines eigenen Kurses für Ex-Profis nur 60 statt 80 Unterrichtseinheiten absolvieren.
Beim Aufnahmetest zum UEFA-B-Lizenz-Kurs wird in Österreich nur das Eigenkönnen mit dem Ball überprüft. Auch bei jenem zur A-Lizenz spielen Eigenkönnen und die Spieler-Karriere eine große Rolle, während in Deutschland bereits ab der B-Lizenz Fach- und Analysekompetenzen schriftlich wie mündlich im Vorfeld überprüft werden.
Die Chance, früh auf sich aufmerksam zu machen, fehlt Österreichs Nagelsmännern.