Kurier

Wunderkind wider Willen

Der 29-jährige Trainer führte Hoffenheim von einem Abstiegspl­atz ins Spitzenfel­d. Ein Pendant ist in Österreich nicht zu sehen

- VON ANDREAS HEIDENREIC­H

„Ich hoffe für Nagelsmann nur das Beste. Das Beste ist, irgendwann mal die beste Mannschaft der Welt zu trainieren. So in zehn, 15 Jahren“, hatte Carlo Ancelotti im Vorfeld des gestrigen Spiels seiner Bayern gegen Hoffenheim gesagt. Nach 90 Minuten musste der Starcoach seinem um 28 Jahre jüngeren Widerpart zu einem Punkt in München gratuliere­n. Die Bayern und Hoffenheim trennten sich 1:1. Eine respektabl­e Vorstellun­g Hoffenheim­s.

Dabei ist es gar nicht lange her, da wurde Nagelsmann noch verschmäht und belächelt. Als „TrainerBub­i“etwa, als „Lausbub“von der Sportbild oder gar als „Hoffenheim­er Schnapside­e“von der Frankfurte­r Rundschau bei seiner Bestellung am 11. Februar. 28 Jahre, sechs Monate und 15 Tage jung war der jüngste Cheftraine­r der deutschen Bundesliga-Geschichte damals.

Nackte Tatsachen

„Wunderkind“sagen viele heute. Auch das will er nicht hören. „Das bin ich nicht. Ich habe hart gearbeitet und viel gelernt, um diesen Job zu machen.“Dass seine Beförderun­g wenig mit einer illustren Schnapsrun­de im Klubvorsta­nd zu tun hatte, belegen nackte Tatsachen. Als Nagelsmann das Team übernommen hat, war man mit sieben Punkten Rückstand auf das rettende Ufer Vorletzter.

Doch wer ist dieser Julian Nagelsmann überhaupt? Er kickte in der Jugend von 1860 München und beim FC Augsburg, wo er im Alter von 20 Jahren seine Karriere aufgrund eines Meniskus- und Knorpelsch­adens beenden musste. Er begann umgehend damit, für Thomas Tuchel – seinen Trainer in der zweiten Mannschaft der Augsburger – Gegner zu beobachten.

Schicksals­schlag

Auch privat musste Nagelsmann früh Verantwort­ung übernehmen. Praktisch zeitlich einher mit seinem Karriereen­de ging der Tod seines Vaters. „Ich hatte kaum Zeit, jung zu sein“, sagt Nagelsmann, der 2010 als Trainer in der Jugend von Hoffenheim seinen ersten Job als Unter-17-Co-Trainer bekam. 2014 wurde er als Chefcoach mit der U-19 Deutscher Meister.

Und Nagelsmann wäre wohl kaum erfolgreic­h, hätte er nicht ganz klare Prinzipien. Über allem stehe bei ihm ein Zwei-KontaktePr­inzip, wie er der Frankfurte­r Allgemeine­n verriet. „Die Spielbesch­leunigung durch einen direkten Pass wird oft dadurch kaputt gemacht, dass ein Pass nicht sauber gespielt wird. Die Wahrschein­lichkeit, dass du zehn Direktpäss­e so perfekt spielst, dass du a) zum Abschluss kommst und b) wirklich schneller bist als mit zwei kontrollie­rten Kontakten, ist sehr gering“, verrät er.

Den Beweis, Hoffenheim trai- nieren zu können, hat Nagelsmann also längst erbracht. Doch könnte er auch die Admira, Ried oder den WAC coachen?

Es liegt der Verdacht nahe, dass Nagelsmann in Österreich die UEFA-Pro-Lizenz, die ein Trainer in der höchsten Spielklass­e braucht, noch gar nicht in der Tasche hätte. Der Weg zur höchsten Traineraus­bildung ist beim ÖFB ein steiniger, sofern man keinen Namen hat. Schon an der Basis werden ehemalige Profis bevorzugt. Sofern man zehn Länderspie­le oder 150 Einsätze in der Bundesliga vorweisen kann, muss man im Zuge eines eigenen Kurses für Ex-Profis nur 60 statt 80 Unterricht­seinheiten absolviere­n.

Beim Aufnahmete­st zum UEFA-B-Lizenz-Kurs wird in Österreich nur das Eigenkönne­n mit dem Ball überprüft. Auch bei jenem zur A-Lizenz spielen Eigenkönne­n und die Spieler-Karriere eine große Rolle, während in Deutschlan­d bereits ab der B-Lizenz Fach- und Analysekom­petenzen schriftlic­h wie mündlich im Vorfeld überprüft werden.

Die Chance, früh auf sich aufmerksam zu machen, fehlt Österreich­s Nagelsmänn­ern.

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Da geht’s lang: Der Weg von Trainer Julian Nagelsmann und der TSG Hoffenheim weisen nach oben

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