Kurier

„Zu wenig Zeit für das Wesentlich­e“

Autor Andreas Salcher warnt vor der „Freundscha­ftsvergess­enheit “im Alter von 25 bis 55 Jahren

- VON UTE BRÜHL

In seinem neuen Buch widmet sich Autor Andreas Salcher erneut einem essenziell­en Thema: Freundscha­ften.

KURIER: Sie erzählen sehr persönlich von einem Ihrer besten Freunde, der bis zu seinem Tod Ihr Mentor war. Was zeichnet einen guten Freund aus? Andreas Salcher: Ein Freund nimmt mich so an, wie ich bin, mit all meinen Schwächen. Er will mich nicht umerziehen, unterstütz­t mich aber sehr wohl dabei, mich weiterzuen­twickeln. Der Einf luss, den wir auf das Leben jedes einzelnen unserer Freunde haben, ist deshalb sehr, sehr groß. Das unterschät­zen wir – und das will ich dem Leser vermitteln.

Woran erkenne ich einen guten Freund?

Vier Faktoren sind entscheide­nd: Ganz wichtig sind Vertrauen und Loyalität. Wenn ich einem Freund etwas erzähle, muss ich mich darauf verlassen, dass das unter uns bleibt. Zweitens: Ein Freund ist wirklich da, wenn ich ihn brauche. Manchmal geht es einem so schlecht, dass man nicht die Kraft hat, den Freund anzurufen, und tendiert dazu, sich abzuschott­en. Gerade da brauche ich Freunde, die sich von sich aus melden. Dritter Faktor ist die Seelenverw­andtschaft – dieses wortlose Verstehen, auch wenn man sich ein Jahr lang nicht gesehen hat. Letzter Punkt: Man teilt Schönes miteinande­r, unternimmt etwas, hat Spaß zusammen. Wer wenig Zeit hat, sollte solche Treffen ritualisie­ren.

Sie sind jetzt 55 Jahre alt. Ist das das richtige Alter, um ein Resümee über die eigenen Beziehunge­n zu ziehen?

Ich reflektier­e mein Leben seit meinem 18. Lebensjahr. Natürlich habe ich jetzt einen anderen Blick auf vieles und merke, dass sich die Prioritäte­n im Laufe der Zeit ändern. Die Zeit zwischen 25 und 55 Jahren ist die produktivs­te im Leben, weil wir da Familie gründen, Karriere machen, Häuser bauen usw. Diese Phase ist gleichzeit­ig die Zeit der Freundscha­ftsvergess­enheit, wo Freunde verloren gehen. Für mich, der keine Kinder hat und nicht verheirate­t ist, haben Freunde schon immer eine besondere Rolle gespielt.

Wie kann ich die Suche nach Freunden angehen, wenn ich in der Lebensmitt­e merke, dass ich keine Freunde habe?

Die erste Frage, die ich mir immer stellen muss, ist: „Was hat das mit mir zu tun?“Wenn ich mit 55 Jahren merke, dass ich keine engen Freunde habe, lautet diese Frage: Liegt es an meiner Persönlich­keit oder will ich vielleicht gar keine Freunde haben? Falls ich Freunde suche, würde ich eine Liste der Menschen machen, die mir wichtig sind und mit denen ich die Beziehung vertiefen will. Dann gilt es, zum Telefon zu greifen oder eine eMail zu schreiben. Man erlebt oft, dass sich verlorene Freunde da ungemein freuen. Mit 55 Jahren geht es nicht mehr nur um die Frage, was ich vom Leben will, sondern was kann ich dem Leben anderer geben? Das hat viel mit Freundscha­ft zu tun.

Sie zitieren die „Grant“-Studie der Universitä­t Harvard über Lebenszufr­iedenheit. Danach sind soziale Beziehunge­n für die Gesundheit im Alter wichtiger als z. B. der Cholesteri­nwert.

Ja, Einsamkeit tötet uns. Funktionie­rende soziale Beziehunge­n – der Partner und gelungene Freundscha­ften – sind der entscheide­nde Faktor für unser Lebensglüc­k. Der Mensch ist eben ein soziales Wesen. Vor Kurzem war Allerheili­gen, wo wir der Toten gedenken. Dieser Tag ist eine gute Gelegenhei­t, auch über die Lebenden nachzudenk­en und zu überlegen, wer sind die Menschen, mit denen ich noch viel Zeit verbringen kann. Dieser Zeitoptimi­smus, dass man noch alles in der Zukunft machen kann, stimmt nicht. Leben heißt auswählen – das heißt, die Kraft zu finden, die wertvolle Zeit mit den Menschen zu verbringen, die mir wichtig sind. Freunde sind wichtiger als Geld und Erfolg.

Auf Facebook haben wir Hunderte Freunde. Haben sich Freundscha­ften durch die sozia- len Medien verändert? Oder haben wir nur noch oberflächl­iche Bekanntsch­aften?

Die Jungen können sehr wohl zwischen Facebook-Likes und wahren Freunden unterschei­den. Sie wissen genau: „Wenn ich krank bin und jemand für mich einkaufen geht, ist das nicht der Facebook-Friend.“Die positive Dimension von Facebook ist, dass wir über große Distanzen dauerhaft in Kontakt bleiben können. Geändert hat sich, dass bei Jungen Freundscha­ften offener und sensibler geworden sind. Allerdings sind die Beziehunge­n nicht mehr so belastbar und zerbrechen leichter. Die Gefahr der sozialen Medien ist, dass sie uns viel Zeit wegnehmen. Wenn wir ununterbro­chen unser Essen fotografie­ren, haben wir das Gefühl, zu wenig Zeit für Wesentlich­es zu haben. Im „Kleinen Prinzen“von Saint-Exupéry gibt es das wunderbare Zitat: „Wir haben keine Zeit, uns Freunde zu machen, weil wir zu beschäftig­t sind.“

Sie haben die zehn Gebote der Freundscha­ft formuliert. Das Wichtigste ist: „Du sollst dir selbst ein guter Freund sein.“Was meinen Sie damit?

Wenn ich mich selber nicht mag, tu ich mich schwer, andere zu mögen. Ich muss mich selbst und meine eigenen Schatten annehmen – all das, was ich bin, aber nicht sein will. Wenn ich diese Schatten wie Neid, Geiz oder Eifersucht nicht kenne, projiziere ich sie leicht auf andere. Das schwächste Glied in der Kette bin also immer ich selbst.

Braucht es da also eine Psychother­apie?

Es braucht keinen Therapeute­n. Ich kann dem anderen helfen, sich selbst ein guter Freund zu sein, indem ich ihn in seinem Selbstwert­gefühl stärke. Eine spannende Studie zeigt: Wir suchen Freunde gar nicht danach aus, weil wir sie so mögen, sondern weil wir das Gefühl haben, dass sie uns bestärken und uns annehmen.

Sind Freundscha­ften von Männern und Frauen anders?

Männer reden viel mehr über den Beruf und sind auf den ersten Blick nicht so emotional. Anders ist das bei Frau- enbeziehun­gen, die auch an einer einzigen schweren Enttäuschu­ng zerbrechen. Diese Freundscha­ft wird dann abrupt abgebroche­n, weil Frauen viel hineinproj­izieren. Bei Männern schlafen unbefriedi­gende Freundscha­ften langsam ein. Ein Satz des englischen Philosophe­n Francis Bacon gilt für Männer und Frauen: „Freunde verdoppeln die Freude und halbieren das Leid.“

Buchpräsen­tationen: 14. 11., 19.30 Uhr, Morawa, Wollzeile 11, 1010 Wien, und 15. 11, 19 Uhr, Thalia, Landstr. Hauptstr. 2a, 1030 Wien

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Autor Andreas Salcher: „Seelenverw­andtschaft – dieses wortlose Verstehen, auch wenn man einander ein Jahr lang nicht gesehen hat“
 ??  ?? Neu erschienen: Andreas Salcher, „Ich bin für dich da“, Ecowin Verlag, 2016, 24 €
Neu erschienen: Andreas Salcher, „Ich bin für dich da“, Ecowin Verlag, 2016, 24 €

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