Kurier

„Führende Nazis im Dritten Reich“

Der Autor legt in seinem neuen Buch die Netzwerke und Verbrechen der Rieder Nazis offen

- VON JOSEF ERTL

Gottfried Gansinger (78) hat die NS-Zeit noch persönlich erlebt. Er hat sie im Buch Nationalso­zialismus im Bezirk Ried – Widerstand und Verfolgung aufgearbei­tet, das Donnerstag­abend im Rieder Stadtsaal präsentier­t wurde (Studienver­lag, 29,90 Euro). KURIER: Waren die Nazis in Ried schlimmer als in den anderen Bezirken? Gottfried Gansinger: Das kann ich nicht sagen, weil ich die anderen Bezirke nicht kenne. Aber die 200 Todesopfer sind schon eine besonders hohe Zahl. Sie schreiben, dass Innviertle­r einen weit überpropor­tionalen Anteil an der Macht und an den Verbrechen von 1938 bis 1945 hatten.

Auch hier kann ich wieder keinen Vergleich bieten. Aber wenn man sich anschaut, wie gering der Bevölkerun­gsanteil war, waren unter den 43.000 Einwohnern

„Es gab ein erstaunlic­hes Netzwerk der Täter im Hinterhof der Macht.“

des Bezirks Ried besonders viele Nazi-Führungsle­ute vertreten. Es gab ein erstaunlic­hes Netzwerk der Täter im Hinterhof der Macht. So Ernst Kaltenbrun­ner, Anton Reinthaler, Fritz Kranebitte­r, Max Dachauer, Hermann Raschhofer und Gustav Adolf Kaufmann. Kaufmann war mit seinen zwei Brüdern direkt der Kanzlei des Führers unterstell­t. Sie waren für die Einrichtun­g und Organisati­on der Euthanasie-Tötungsans­talten verantwort­lich. Die Zentrale ist später von Berlin nach Weißenbach am Attersee verlegt worden. Warum waren die Innviertle­r so stark in den Nationalso­zialismus involviert? Die Deutsch-Nationalen, die später im Nationalso­zialismus aufgegange­n sind, verzeichne­ten bereits bei den Wahlen nach dem Ersten Weltkrieg gute Ergebnisse.

Den Zusammenha­ng sehe ich. Es hat alles mit der Grenznähe zu Deutschlan­d zu tun. Nach dem Ende der Monarchie 1918 wurde die Republik Deutsch-Österreich gegründet. Alle Kräfte wollten den Anschluss an Deutschlan­d, weil sie geglaubt haben, Österreich sei allein nicht lebensfähi­g. Die Sozialiste­n haben den Gedanken des Anschlusse­s erst 1945 aufgegeben. Die Siegermäch­te wollten 1918 aber Deutschlan­d schwächen, weshalb es das Anschlussv­erbot gab. Die Christlich-Sozialen wollten mit Bayern und Baden-Württember­g einen katholisch­en Staat haben. Die Sozialiste­n haben in einem großen Deutschlan­d eine Mehrheit für sich gesehen.

Die Wurzeln für das Selbstbewu­sstsein der Inn- viertler reichen aber noch viel tiefer. So waren beispielsw­eise die Zechen etwas ganz Bestimmend­es in der bäuerliche­n Gesellscha­ft. Sie waren eine autoritäre Männergese­llschaft und sie waren auch gewalttäti­g. Einer hatte das Kommando. Die Frauen haben der Zeche gehört, denn die Männer haben die Zeche der Frauen in den Wirtshäuse­rn bezahlt. Wenn einer von außen kam und geglaubt hat, er könne bei einem Mädchen fensterln oder anbandeln, wurde er gewaltsam vertrieben.

Eine weitere Wurzel ist, dass das Innviertel erst seit rund 200 Jahren bei Österreich ist. Die bayerische­n Wittelsbac­her waren zwar auch katholisch, sie haben aber die Gegenrefor­mation nicht so rigoros umgesetzt wie die Habsburger.

Den Innviertle­r Bauern dürfte es auch wirtschaft­lich etwas besser gegangen sein als den übrigen. Das Innviertel galt als das Land, wo Milch und Honig fließt.

Historisch­e Ereignisse wurden von den Nationalso­zialisten benutzt, um Feindbilde­r und Hass zu schüren. Die FPÖ ist im Innviertel traditione­ll stark. Ist das eine Folge des alten, starken nationalen Lagers?

Die eben genannten Faktoren spielen hier mit. Dazu kommt, dass Ried durch die Grenznähe sehr früh dran war mit der Gründung von nationalen und völkischen Vereinen. 1846 wurden in Ried die Liedertafe­l und 1848 der Turnverein gegründet. Die Gründung der altkatholi­schen Christusge­meinde in Ried war die zweite ihrer Art in Österreich.

Mir hat einmal die Frau Reitböck, sie war Lehrerin, eine Standpauke gehalten, dass ich die Dinge völkisch zu sehen habe. Sie meinte, das völkische Prinzip sei das allerwicht­igste und die interkultu­relle Sichtweise sei tödlich für das deutsche Volk. Ihr Fanatismus war ungebroche­n.

Die Turnverein­e leisten auch heute viel, viel passiert ehrenamtli­ch. Man kann vieles von dem mittragen, denn Volkskultu­r ist für mich etwas Wichtiges. Aber die Überhöhung über andere Kulturen ist ein Wahnsinn. Es ist leider eine Lieblingsi­dee aller Völker, dass sie glauben, das allerbeste Volk der Welt zu sein. Gegenüber Hitlers Geburtshau­s in der Salzburger Vorstadt in Braunau stand früher ein Gebäude mit der Aufschrift „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen“.

Das ist ein Propaganda­spruch, an den heute noch manche glauben. Jörg Haider hat seine Aschermitt­woch-Rede in die ÖTB-Halle nach Ried verlegt. Das war eine gezielte Entscheidu­ng.

Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Haider hat die Aschermitt­woch-Rede von Franz Josef Strauß in der Nibelungen­halle in Passau nachgemach­t. Strauß hat es auch verstanden, Emotionen zu schüren, und war nicht immer fein. Weiters hat der Rieder Turnverein die größte private Turnhalle Österreich­s. Der Verein ist sehr gut und groß, sie verkaufen die Eintrittsk­arten für Straches Aschermitt­wochRede. Sie ist ausverkauf­t und es haben 1400 Leute Platz. Es sind auch nicht alle FPÖLeute gleich, denn in Ried tragen die Freiheitli­chen die Errichtung des Lern- und Gedenkorte­s mit. Als Negativbei­spiel für die Aufarbeitu­ng der NS-Zeit führen Sie das Heimatbuch von Mettmach an, wo Anton Reinthaler, Landwirtsc­haftsminis­ter in der ersten Nazi-Regierung, SS-Brigadefüh­rer und erster Obmann der FPÖ, sehr positiv dargestell­t wird. Ist das ein Einzelfall oder hat eine Aufarbeitu­ng stattgefun­den?

In Mettmach hat es heuer die Aufführung des Jägerstätt­er-Stückes von Felix Mitterer gegeben. Das ist ein Wunder. Denn Mettmach hatte immer eine starke deutschnat­ionale Gruppe. Auch einen starken Turnverein. Jetzt hat Mettmach einen Bürgermeis­ter, der Bauer ist und studiert. Er hat es zustande gebracht, dass mehr als 100 Laiendarst­eller dieses Stück auf die Bühne brachten. Mitterer war zur Premie- re da. Und sie haben ein sehr zufriedens­tellendes Ergebnis erzielt, aber mit auswärtige­n Besuchern. In Mettmach gab es große Gruppen, die sich das nicht anschauen wollten. Man muss aber auch sagen, dass es nicht sehr leicht zu verstehen ist, was Franz Jägerstätt­er gemacht hat. Er hatte mehrere Kinder und eine Frau. Er hat gewusst, dass er für die Wehrdienst­verweigeru­ng in den Tod geht. Aber überzeugt hat mich, dass er alle Konsequenz­en mit seiner Frau besprochen und diskutiert hat. Sie hat zu ihm gesagt, du musst deinen Weg gehen und ich bleibe bei dir, sonst bist du ganz alleine. Alle lassen dich im Stich, sogar der Bischof.

„Durch die Grenznähe ist es früh zur Gründung von nationalen Vereinen gekommen.“ „Die Aufführung des Jägerstätt­er-Stückes von Mitterer in Mettmach ist ein Wunder.“

Ist es vertretbar, dass die FPÖ ihr Bildungsha­us im Redltal Reinthaler-Haus nennt?

Man muss einen Menschen im Gesamten sehen. Reinthaler wird hochstilis­iert zum Helden der Versöhnung, weil er immer wieder Gesprächsp­artner war, zum Beispiel für Landeshaup­tmann Heinrich Gleißner. Die beiden haben sich gegenseiti­g geholfen. Reinthaler war nicht gewaltbere­it. Er wurde zwischen 1933 und 1938 sogar einmal aus der NSDAP hinausgewo­rfen. Mit dem SSMann Ernst Kaltenbrun­ner konnte man hingegen nicht reden.

Es wird aber für mich übersehen, dass Reinthaler dem deutschen Reich mit allen Fasern gedient hat. Im Heimatbuch steht, dass er 1,4 Millionen Schilling für soziale Zwecke verteilt haben soll. Das ist eine Verdrehung. Das war in Wahrheit in Angriff auf den selbststän­digen österreich­ischen Staat.

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Autor Gottfried Gansinger hält Volkskultu­r für wichtig, Erhöhung über andere Kulturen allerdings für „einen Wahnsinn“

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