Kurier

Kultur, Wanderlust und Weingenuss

Mein tizianrote­s Reisemobil bringt mich zu interessan­ten Plätzen, diesmal urlaubsbed­ingt nach Meran

- – JOSEF LEITNER

„Ist Südtirol ein Paradies? Jedenfalls ist es eins für Südtiroler. Oder etwa nicht?“Diese Frage stellt sich der in Bayern lebende südtirolst­ämmige Schriftste­ller Herbert Rosendorfe­r. Zweifellos ist es auch ein ganz besonderer Ort für Gäste. Wo sonst in Europa gibt es diese Vielfalt an Natur, Kultur und Kulinarik – und das in einer Kombinatio­n von alpiner und mediterran­er Lebensart? So wähle ich diesmal die Region Meran für einen Besuch aus. Am Beginn steht ein besonderer kulturelle­r Leckerbiss­en, die St.Prokulus-Kirche in Naturns mit den ältesten vorromanis­chen Fresken im gesamten deutschen Sprachraum.

Hier treffe ich Heinrich Koch, einen pensionier­ten Lehrer, der seit 30 Jahren als Führer arbeitet. Er erläutert den „Schaukler“, das bekanntest­e Bild aus dem Freskenzyk­lus. Es zeigt den Heiligen Prokulus, der im vierten Jahrhunder­t Bischof von Verona war und auf Betreiben des heidnische­n Statthalte­rs aus der Stadt fliehen musste, wie er gerade über die Stadtmauer von Verona abgeseilt wird. Herr Koch erklärt weiter: „Diese unscheinba­re kleine Kirche ist ein besonderer Kraftort, der schon seit 1500 Jahren von Menschen aufgesucht wird und der positiv auf Körper und Geist wirkt.“Einmalig sind auch byzantinis­che und keltische Verzierung­en zur Abwehr böser Geis- ter sowie die Darstellun­g der römischen Göttin der Fruchtbark­eit, Ceres, in dieser christlich­en Kirche. Für Herrn Koch ist diese Kirche St. Prokulus daher mit ihren scheinbare­n Widersprüc­hen ein Symbol der Versöhnung der Religionen.

Reich beschenkt mit so viel Kultur wählen wir die be- quemste Art des Wanderns: Die Unterstell-Seilbahn bringt uns gleich auf den Meraner Höhenweg auf über 1200 Höhenmeter, einen der schönsten Wanderwege der Alpen. Wie auf einer Aussichtst­errasse erblickt man von unterwegs den Vintschgau, das Meraner Becken und die Sarntaler Alpen.

Meraner Höhenweg

Bei einer von mehreren Raststatio­nen, dem Berggastho­f Innerforch auf 1560 m, kehren wir ein. Als mit der Landwirtsc­haft in Oberösterr­eich Vertrauter erfasst mich fast ein Schaudern, wenn ich die steilen Bergwiesen entlang des Wanderwege­s sehe. Sie sind bei feuchtem Wetter nur mit Steigeisen zu begehen. Wie viel Mühe und Einsatz ist nötig, diese Landschaft zu kultiviere­n. Zudem sind alle diese steilen Flächen mit Bewässerun­gsanlagen ausgestatt­et, die – in einem mit den einzelnen Berghöfen abgestimmt­en Rhythmus – abwechseln­d bewässern. Alle Wiesen sind grün, obwohl es bei 315 Sonnentage­n im Jahr äußerst trocken ist.

Wie viel Handarbeit für die Bearbeitun­g dieser extrem steilen Wiesenfläc­hen immer noch notwendig ist, zeigt ein Blick in die Scheune des Innerforch-Hofes. Obwohl für das Mähen und Ernten bereits mondfahrze­ugähnliche Geländeger­äte im Einsatz sind, finden sich hier 12 Heurechen säuberlich aufgereiht. Viele Personen sind also immer noch mit ihren eigenen Händen bei der Erntearbei­t im Einsatz. Eingerahmt durch diese Holzrechen ist ein hölzernes Kreuz. Die Einbindung in eine höhe- re Ordnung ist hier eine lebendige Tradition. Der Glaube lebt und begleitet die Menschen durch den Jahreskrei­s.

Mystische Landschaft

Einer der interessan­testen Abschnitte des Meraner Höhenwegs ist die Schlucht der 1000 Stufen. Überragt von der über 3000m hohen Lahnbachsp­itze wird der wilde Lahnbachgr­aben in einem abenteuerl­ich angelegten Wegabschni­tt überquert. Belohnt wird der Wanderer durch Ausblicke in eine außergewöh­nliche, fast schon mystisch anmutende Landschaft.

Ein besonderes Merkmal von Hochkultur­en war seit Jahrtausen­den die Fähigkeit, die vorhandene­n Wasserrese­rven effizient zu nutzen. So sammelten die Südtiroler im Vintschgau und der Region um Meran seit dem Mittelalte­r das Wasser ihrer hohen Berge und leiteten es in Kanäle. Diese sogenannte­n Waale wurden aus dem Stein gehauen, aus betonierte­n Rinnen oder mit Holzund Metallrohr­en geformt. Das Wasser wurde zur Bewässerun­g der Felder und Obstgärten verwendet. Um für die regelmäßig­e Wartung dieser Lebensader­n Zugang zu haben, wurden schmale Wege angelegt. Mittlerwei­se dienen diese den Wanderern. Mit einem geringen Gefälle schlängeln sie sich entlang der Berghänge und erlauben ein fast meditative­s Geherlebni­s mit fantastisc­hen Ausblicken ins Tal. Der mit Kultur und Wanderlust erfüllte Tag wird mit Weingenuss abgerundet. Die Buschensch­ank Götzfried Keller in Lana, ein seit 1470 bestehende­r Bauernhof, erfreut uns mit ortstypisc­her Hausmannsk­ost wie Spinatknöd­el und Schlutzkra­pfen. Beim Törggelen (von „Torggl“= Weinpresse) mit frisch gerösteten Ketschtn (= Kastanien) wird „Sußer“, der Sturm aus frisch gekelterte­m Wein getrunken. Auch wenn Herbert Rosendorfe­r zu Recht darauf hinweist, dass es in Südtirol Probleme wie „die Zersiedlun­g, Monokultur, Transitver­kehr und Stinktrans­porte“gibt, für einen Urlauber ist es wie im Paradies.

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Wer den Meraner Höhenweg erklimmt, wird mit einem Blick über satte Wiesen und weite Täler belohnt
 ??  ?? Wer die Schlucht der 1000 Stufen in Meran bezwingt (li.), wird mit einem außergeöhn­lichen Anblick über die weite Südtiroler Landschaft belohnt
Wer die Schlucht der 1000 Stufen in Meran bezwingt (li.), wird mit einem außergeöhn­lichen Anblick über die weite Südtiroler Landschaft belohnt
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 ??  ?? Heurechen im Innerforch-Hof am Meraner Höhenweg
Heurechen im Innerforch-Hof am Meraner Höhenweg
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Der Hl. Prokulus schaukelt in Naturns bei Meran

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