Kurier

Das Ende des Parlamenta­rismus

Türkei. Die HDP stellt ihre parlamenta­rische Arbeit ein – ein rabenschwa­rzer Tag für die Demokratie

- VON STEFAN SCHOCHER

Nach dem Trommelfeu­er der vergangene­n Tage auf Journalist­en und politische Gegner zog die Opposition in der Türkei am Sonntag die Konsequenz­en. Die HDP, so hieß es in einer in der kurdischen Metropole Diyarbakir verlesenen Erklärung der Partei, werde alle parlamenta­rischen Aktivitäte­n vorübergeh­end aussetzen. Man reagiere damit auf den „umfassends­ten und schwärzest­en Angriff in der Geschichte unserer demokratis­chen Politik“.

In der Nacht auf vergangene­n Freitag waren die zwei Chefs der links-liberalen HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie weitere Abgeordnet­e der Partei festgenomm­en worden. Am selben Tag wurde Untersuchu­ngshaft verhängt. Ebenso Tags darauf über Journalist­en der Zeitung Cumhuriyet, die bereits am Montag festgenomm­en worden waren. Einher gegangen war der Kahlschlag des Erdoğan-Regimes mit rigorosem Vorgehen der Sicherheit­skräfte gegen Proteste, die sich in Reaktion auf die Vorkommnis­se formiert hatten.

Mit der Einkaserni­erung aller führenden Redakteure der Cumhuriyet sowie der Ausschaltu­ng der parlamenta­rischen Opposition hat Erdoğan damit seine schärfsten Kritiker mundtot gemacht. Denn die jüngste Verhaftung­swelle ist nur letzter Höhepunkt einer Serie, die seit dem gescheiter­ten Putsch vom 15. Juli läuft. Dutzende TV-Sender, Radiostati­onen, Nachrichte­nagenturen und Zeitungen wurden seither auf Basis von Notstandsd­ekreten geschlosse­n; gegen Hunderte Journalist­en Verfahren eingeleite­t. Der Notstand erlaubt es Behörden, Medien zu schließen, die „die nationale Sicherheit gefährden“. Dazu zählen laut Auslegung der türkischen Führung auch solche wie der kurdische Kinderkana­l Zarok TV.

Unbehellig­t bleiben dagegen solche Sender wie CNNTürk oder die Zeitung Hürriyet. Beide Medien gehören zur Dogan-Gruppe, die sich mit dem System-Erdoğan arrangiert hat – das lässt sich Mails entnehmen, die eine linke Hackergrup­pe veröffentl­icht hat. In einer Mail eines Dogan-Managers an den Schwiegers­ohn Erdoğans hieß es dabei, man sei „offen“, die Haltung nach den Wünschen der Regierung zu jus- tieren. Es wäre zudem nützlich, „wenn wir die Positionen unserer Mediengrup­pe evaluieren würden“.

Die Dogan-Gruppe auf Li- nie zu bringen, hat die türkischen Führung dabei einiges an Mühe gekostet. Zum einen war es einmal die Finanzfahn­dung – sozusagen die Ka- vallerie im Krieg der Türkei gegen unliebsame Medien –, die nach kritischen Recherchen einiger Dogan-Medien losgeschic­kt wurde. Und schließlic­h waren es Staatsauft­räge an Dogan-Unternehme­n abseits der MedienBran­che, die ausblieben.

Vier Monate nach dem Putsch gehören freie Medien in der Türkei der Geschichte an. Und was an unliebsame­n Meinungen noch durch soziale Medien geistert, kann abgedreht werden, wie die Komplettau­sschaltung des mobilen Internets in Diyarbakir sowie die landesweit­e Beschränku­ng sozialer Medien am Wochenende gezeigt hat.

 ??  ?? Schweigend­er Protest vor der Redaktion der Zeitung Cumhuriyet in Ankara – die Zeitung ist zum Symbol der Meinungsfr­eiheit geworden, bei Weitem aber nicht das einzige Ziel der türkischen Behörden
Schweigend­er Protest vor der Redaktion der Zeitung Cumhuriyet in Ankara – die Zeitung ist zum Symbol der Meinungsfr­eiheit geworden, bei Weitem aber nicht das einzige Ziel der türkischen Behörden
 ??  ?? Im Keim ersticken – gegen Proteste schreitet die Polizei massiv ein
Im Keim ersticken – gegen Proteste schreitet die Polizei massiv ein

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