Das Ende des Parlamentarismus
Türkei. Die HDP stellt ihre parlamentarische Arbeit ein – ein rabenschwarzer Tag für die Demokratie
Nach dem Trommelfeuer der vergangenen Tage auf Journalisten und politische Gegner zog die Opposition in der Türkei am Sonntag die Konsequenzen. Die HDP, so hieß es in einer in der kurdischen Metropole Diyarbakir verlesenen Erklärung der Partei, werde alle parlamentarischen Aktivitäten vorübergehend aussetzen. Man reagiere damit auf den „umfassendsten und schwärzesten Angriff in der Geschichte unserer demokratischen Politik“.
In der Nacht auf vergangenen Freitag waren die zwei Chefs der links-liberalen HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie weitere Abgeordnete der Partei festgenommen worden. Am selben Tag wurde Untersuchungshaft verhängt. Ebenso Tags darauf über Journalisten der Zeitung Cumhuriyet, die bereits am Montag festgenommen worden waren. Einher gegangen war der Kahlschlag des Erdoğan-Regimes mit rigorosem Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Proteste, die sich in Reaktion auf die Vorkommnisse formiert hatten.
Mit der Einkasernierung aller führenden Redakteure der Cumhuriyet sowie der Ausschaltung der parlamentarischen Opposition hat Erdoğan damit seine schärfsten Kritiker mundtot gemacht. Denn die jüngste Verhaftungswelle ist nur letzter Höhepunkt einer Serie, die seit dem gescheiterten Putsch vom 15. Juli läuft. Dutzende TV-Sender, Radiostationen, Nachrichtenagenturen und Zeitungen wurden seither auf Basis von Notstandsdekreten geschlossen; gegen Hunderte Journalisten Verfahren eingeleitet. Der Notstand erlaubt es Behörden, Medien zu schließen, die „die nationale Sicherheit gefährden“. Dazu zählen laut Auslegung der türkischen Führung auch solche wie der kurdische Kinderkanal Zarok TV.
Unbehelligt bleiben dagegen solche Sender wie CNNTürk oder die Zeitung Hürriyet. Beide Medien gehören zur Dogan-Gruppe, die sich mit dem System-Erdoğan arrangiert hat – das lässt sich Mails entnehmen, die eine linke Hackergruppe veröffentlicht hat. In einer Mail eines Dogan-Managers an den Schwiegersohn Erdoğans hieß es dabei, man sei „offen“, die Haltung nach den Wünschen der Regierung zu jus- tieren. Es wäre zudem nützlich, „wenn wir die Positionen unserer Mediengruppe evaluieren würden“.
Die Dogan-Gruppe auf Li- nie zu bringen, hat die türkischen Führung dabei einiges an Mühe gekostet. Zum einen war es einmal die Finanzfahndung – sozusagen die Ka- vallerie im Krieg der Türkei gegen unliebsame Medien –, die nach kritischen Recherchen einiger Dogan-Medien losgeschickt wurde. Und schließlich waren es Staatsaufträge an Dogan-Unternehmen abseits der MedienBranche, die ausblieben.
Vier Monate nach dem Putsch gehören freie Medien in der Türkei der Geschichte an. Und was an unliebsamen Meinungen noch durch soziale Medien geistert, kann abgedreht werden, wie die Komplettausschaltung des mobilen Internets in Diyarbakir sowie die landesweite Beschränkung sozialer Medien am Wochenende gezeigt hat.