Kurier

Anonym ein Kind im Spital zur Welt bringen: „Keiner weiß, dass es das gibt“

- – GABRIELE SCHERNDL

Wirksame Einrichtun­g. Wenn Christian Fiala über die anonyme Geburt spricht, wird seine Wortwahl emotional. Begriffe wie „Skandal“und „Drama“fallen dann. „Es ist fahrlässig und gegen die medizinisc­he Ethik, wenn man Frauen dazu zwingt, sich auszuweise­n, bevor sie entbinden“, sagt er. Der Leiter des Gynmed-Ambulatori­ums am Mariahilfe­r Gürtel in Wien ist auf ungewollte Schwangers­chaften spezialisi­ert und war 2001 maßgeblich an der Legalisier­ung der anonymen Geburt beteiligt.

Seitdem kann jede Frau in jedem österreich­ischen Krankenhau­s entbinden, ohne ihre Daten preisgeben zu müssen. „Diesen Frauen liegt viel an ihrem Kind, sie wollen, dass es lebt. Aber sie wissen eben, dass sie selbst – aus welchen Gründen auch immer – nicht dafür sorgen können“, so Fiala.

Auch die Vor- und Nachbehand­lungen sind anonym. Der Gynäkologe erklärt: „Das ist der große Unterschie­d zur Babyklappe: Die Frau muss vorher ohne ärztliche Betreuung eine Schwangers­chaft und die Geburt durchstehe­n. Deshalb ist sie eine frauenvera­chtende und kinderfein­dliche Einrichtun­g.“

Das Baby wird nach der anonymen Geburt im Regelfall zur Adoption freigegebe­n und erfährt nie, wer die Eltern sind. Lediglich einen Brief kann die Mutter hinterlege­n, der zum 18. Geburts- tag im Jugendamt oder Krankenhau­s abgeholt werden kann. „Die anonyme Geburt sollte die Zahl der Neugeboren­entötungen senken. Das tut sie auch, und zwar hochsignif­ikant“, sagt Claudia Klier, Fachärztin für Kinder und Jugendpsyc­hiatrie an der MedUni Wien. Sie erstellte dazu eine umfassende Studie und hielt erst kürzlich auf einem Kongress in Australien ein Symposium zum Thema Kindstötun­g ab.

Rückläufig

Doch die Zahl der anonym geborenen Kinder geht laufend zurück. Laut Statistik Austria gab es in Wien im Jahr 2002 16 anonyme Geburten, 2015 nur noch fünf. Österreich­weit sanken die Fälle von 45 auf 32.

Die Ursache dafür liegt für Fiala und Klier auf der Hand: „Frauen wissen ein- fach nicht, dass es die Möglichkei­t der anonymen Geburt gibt“, sagt Klier. Gynäkologe Fiala ergänzt: „Was es braucht, ist eine Kampagne, die informiert, ohne zu stigmatisi­eren.“

„Nach der Legalisier­ung gab es eine sehr gute Kampagne von der Stadt Wien namens ,Anna ist ein Findelkind‘ “, so Claudia Klier, „doch dann kamen Einsprüche von Jugendämte­rn und Kinderrech­tlern, etwa weil sie kritisiert­en, dass das Kind nie erfahren wird, wo seine Wurzeln sind. Seitdem wird kaum mehr über das Angebot informiert.“Auf solche Kritik reagiert Fiala pragmatisc­h: „Alles kann man nicht haben. Es ist immer noch besser, ein Kind überlebt und erfährt nicht, wer die Eltern sind, als es landet tot in einem Zug, Mülleimer oder Park.“

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Geburtenst­ation: Die Zahl anonymer Entbindung­en ist rückläufig

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