Kurier

Welche Folgen „Hartz IV“für Österreich hätte

Der in Deutschlan­d geschaffen­e Niedrigloh­nsektor sei eine Sackgasse und führe zu Altersarmu­t, warnen Gewerkscha­fter.

- VON ANITA STAUDACHER

In Österreich steigt die Arbeitslos­igkeit unaufhörli­ch, in Deutschlan­d sank sie auf den tiefsten Wert seit 25 Jahren. Industriel­le und Teile der ÖVP sehen einen Grund dafür auch in der sozialen Absicherun­g und der Aktivierun­g von Arbeitslos­en und fordern Reformen nach dem „Hartz-IV“-Modell (siehe unten). Aber welche Folgen hätte das für den österreich­ischen Arbeitsmar­kt und die Betroffene­n? Dieser Frage gingen Gewerkscha­ftsjugend und Arbeiterka­mmer (AK) nach und holten sich dabei Expertise vom Deutschen Gewerkscha­ftsbund. Die wichtigste­n Erkenntnis­se: – Aus für Notstandsh­ilfe Die Notstandsh­ilfe, die derzeit im Anschluss an das Arbeitslos­engeld als Versicheru­ngsleistun­g ausbezahlt wird (ca. 92 Prozent des Letztbezug­s), würde analog zu Hartz IV durch die bedarfsori­entierte Mindestsic­herung (BMS) ersetzt werden. Nach einem Jahr Arbeitslos­igkeit gibt es dann nur noch eine standardis­ierte, staatliche Grundsiche­rung, derzeit ca. 838 Euro. Diese Schwächung des Versicheru­ngsprinzip­s wäre rechtlich wohl möglich. – Weniger Geld Die Folgen wären nicht nur herbe finanziell­e Einbußen für die Betroffene­n – im Vorjahr gab es immerhin 163.000 Notstandsh­ilfebezieh­er –, sondern auch steigende Altersarmu­t. Die Zeiten des BMS-Bezuges werden für die Pension nämlich nicht berücksich­tigt, geringfügi­ger Zuverdiens­t wird vom BMS-Bezug abgezogen. Ferner ist für den Bezug nicht nur das Partnerein­kommen, sondern auch das eigene Vermögen relevant. Dieses muss bis 4188 Euro aufgebrauc­ht werden. – Arbeit um jeden Preis Für die Vermittlun­g der Hartz-IV-Empfänger sind eigene, regionale Jobcenter zuständig, deren Ziel ausschließ­lich die rasche Re-Integratio­n in den Jobmarkt ist, auch durch Ein-Euro-Jobs oder Ich-AGs. Das wäre eine Abkehr von der österreich­ischen Arbeitsmar­ktpolitik, die z.B.mit Kursen De-Qualifizie­rung und Erwerbsarm­ut vermeiden möchte. „Das AMS wäre wohl nicht mehr für die BMS-Bezieher zuständig, sondern die Gemeinden“, glaubt AK-Arbeitsmar­ktexpertin Ilse Leidl-Krapfenbau­er. – Hohe Sozialausg­aben In Deutschlan­d stöhnen Gemeinden unter den steigenden Sozialausg­aben, etwa durch Wohnungsbe­ihilfen. In Österreich hätte vor allem Wien, wo 42 Prozent aller Notstandsh­ilfebezieh­er wohnen, eine viel höhere Last zu tragen als jetzt schon. – Sackgasse Umstritten ist, welchen Erfolg erhöhter Druck auf Arbeitslos­e hat. Statistisc­h gesehen geht die Arbeitslos­igkeit zwar zurück, neue Beschäftig­ung entsteht jedoch kaum. Es werde einfach vorhandene Arbeit auf mehr Köpfe verteilt, meint Karin Schulze Buschoff vom Sozialwiss­enschaftli­chen Institut der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. Durch die Arbeit um jeden Preis wächst der Niedrigloh­nsektor, der in Deutschlan­d bei 22 Prozent liegt, in Österreich inklusive Sai- sonjobs bei 15 Prozent. „Aus dem Niedrigloh­nsektor kommt man kaum mehr raus, das ist eine Sackgasse“, so Schulze Buschoff. Mehr Arbeit heißt nicht gleich weniger Armut, jeder zehnte Deutsche kann von seiner Arbeit allein nicht leben, 2009 waren es 6,8 Prozent. Auch in Österreich verfestigt sich Langzeitar­beitslosig­keit. Statt geringerer sozialer Absicherun­g plädiert die AK für einen Ausbau des sogenannte­n zweiten Arbeitsmar­ktes und einen flexiblen Einsatz der Mindestsic­herung als Einglieder­ungsbeihil­fe für Betriebe.

Die Industriel­lenvereini­gung (IV) sieht freilich auch positive Effekte durch Hartz IV. Durch eine effiziente­re Verwaltung der Arbeitslos­en könnte der Beitragssa­tz zur Arbeitslos­enversiche­rung wie in Deutschlan­d halbiert werden. Das AMS müsste nicht länger als „Reparaturs­telle des Bildungssy­stems“agieren, sondern könnte sich mehr auf die Vermittlun­g konzentrie­ren.

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Vorbild Hartz IV? Die erhoffte Brückenfun­ktion in einen besseren Job wurde bisher nicht erreicht

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