Pariser Grätzel zwischen Trauer
Der KURIER-Korrespondent hörte sich in „seinem“Viertel um, wo Terroristen wahllos in Bars und Restaurants schossen. Die Menschen sind traurig bis traumatisiert, andere ertragen die ständig hereingetragene Trauer nicht mehr und wollen ihre Ruhe.
Mein Friseur ist missgelaunt. Eben erst haben ihm benachbarte Geschäftsleute vorgeschlagen, an einer Erinnerungszeremonie für die 130 Todesopfer der Anschläge vom 13. November 2015 teilzunehmen: Geplant ist der Verkauf von Kartonlaternen mit Kerzen. Die Laternen sollen über den nahen Kanal Saint Martin treiben – ein Zubringer der Seine, an dessen Ufern sich Tausende junge Nachtschwärmer tummeln. Der Erlös kommt den Hinterbliebenen zugute.
Aber meinen Friseur nervt diese Initiative: „Immer nur diese Trauersachen. Unser Viertel hat wegen der Attentate Schaden genommen, es sind viel weniger Passanten unterwegs. Endlich hat die Bezirksverwaltung diese scheußlichen Spuren von den ganzen Trauerkerzen, die die Leute am Gehsteig hinge-
„Immer nur diese Trauersachen. Unser Viertel hat wegen der Attentate Schaden genommen.“Ein Friseur im Viertel
stellt haben, wegkratzen lassen. Dem Bezirksvorsteher, der ja auch zu mir zum Haareschneiden kommt, sage ich jedes Mal: Wir brauchen fröhliche, zukunftsgewandte Aktionen.“Die Mörder des sogenannten „Islamischen Staats“hatten im vergangenen November das trendige Grätzel im zehnten Pariser Arrondissement noch vor ihrem Massaker in der Konzerthalle „Bataclan“heimgesucht. An einer Kreuzung zwischen drei angesagten Kneipen mit gerammelt vollen Straßenterrassen starben 16 Personen im Kugelhagel.
Hört man sich jetzt in der Gegend um, spürt man, wie sehr sich die Bewohner in ihrem Umgang mit den Attentaten voneinander entfernt haben. Die Einstellung meines Friseurs mag unsolidarisch klingen, aber es stimmt schon, dass einige Gewerbetreibende dieses Ausgehviertels an krassen Einbußen laborieren – im Schnitt hat Paris 30 Prozent Besucher-Rückgang verzeichnet.
Ein Krankenhaus, das „Hopital Saint Louis“, hat aus Sicherheitsgründen seinen Hinterausgang gesperrt, der in dieses Grätzel mündet – einige Restaurants haben dadurch ihre Mittagskundschaft, die hauptsächlich aus dem Spitalspersonal bestand, verloren. Der Chef der Gourmetverköstigung „Philou“erzählt: „Wir haben uns umstellen müssen, jetzt bieten wir mittags einfachere und billigere Mahlzeiten an. Die stärksten Rückgänge haben wir aber abends. Da hatten wir vor allem Pariser aus anderen Stadtteilen und Touristen aus der Provinz und dem Ausland, die unsere Zubereitungen schätzen – wir haben ja einen japanischen Koch, die sind in Paris sehr gefragt. Einige Feinschmecker von außerhalb halten die Gegend jetzt aber für zu gefährlich“. Trotzdem unterstützt der Restaurateur die Laternen-Zeremonie: „Das ist selbstverständlich. Ich kannte Leute, die getötet wurden.“
Macht diese persönliche Verbindung zu Opfern oder zum Ereignis den Unterschied aus? Das glaubt jedenfalls eine Angestellte in einem Tätowier-Laden neben meinem Friseur. Sie hält die Erinnerungszeremonie für „unerlässlich, um den Hinterbliebenen bei der Bewältigung ihres Schicksals zu helfen“. Über meinen Friseur meint sie abschätzig: „Der hat gut reden. Er hatte ja während der Gemetzel geschlossen, der hat das gar nicht miterlebt.“
Allerdings ist man auch im „Le Carillon“, der populärsten Kneipe des Grätzels, wo mehrere Stammgäste erschossen wurden, über das Dauerinteresse der Öffentlichkeit, den Ansturm der Schaulustigen und die drängen-