Kurier

Sehnsucht nach der Wildnis

USA/Kanada. Ein Buckelwal winkt mit seiner riesigen Schwanzflo­sse. Die Natur ist Hauptdarst­eller während der Alaska-Cruise von Seward nach Vancouver.

- VON WERNER ROSENBERGE­R

Nichts berührt mehr als das Unberührte. Alaska ist mit seinen wilden Naturlands­chaften, 100.000 Eisfeldern und Gletschern, drei Millionen kristallkl­aren Seen und derzeit 29 aktiven unter 300 Vulkanen ein Land der Superlativ­e. Reporterne­ugier entsprang der Wunsch, einmal zu sehen, wo der Bär steppt und der Seelöwe brüllt.

Cinemascop­e-Panorama

Der erste Eindruck während der Busfahrt von Anchorage nach Seward: Wer unsere Alpen, Patagonien plus Norwegens Fjorde mit hundert multiplizi­ert, hat eine ungefähre Vorstellun­g vom Land der magischen Naturphäno­mene.

Die Le Soléal der französisc­hen Reederei Ponant fährt auf der Tour zur Ostküste Alaskas und in die Region British Columbia mit der berühmten „InsidePass­age“in 14 Tagen im Juni fast 5000 Kilometer eine spektakulä­re Küstenland­schaft entlang. Der Trip von Seward nach Van- couver ist keine Reise für Stubenhock­er. Die Show spielt nicht drinnen an der Bar, sondern täglich draußen im Freien bei Zodiac-Exkursione­n. Bei jedem Wetter. Denn das Draußen ist mit teilweise 300 Regentagen pro Jahr unberechen­bar.

Während das Schiff am College Fjord ankert, wo sich allein fünf große und Dutzende kleinere Gletscher befinden, öffnet der milchig-graue Himmel bei 9 Grad Celsius Lufttemper­atur seine Schleusen. Das Schlauchbo­ot rumpelt über das Eis im bläulich schimmernd­en Wasser, in dem es Robben sichtlich lustig haben. Möwen umkreisen die merkwürdig­en Wesen, die fest eingemumme­lt in Regenjacke­n, Kapuzen, wasserdich­ten Überziehho­sen und Schwimmwes­ten, adjustiert mit Kameras vor dem Gesicht, vorbeischi­ppern.

Icy Bay bietet eine dramatisch­e Kulisse. Hier ist alles groß: zerklüftet­e Felsen und Gletscher: Was sich vor Jahrmillio­nen aufgetürmt hat und während häufiger Erdbeben immer noch verschiebt, hat zu einer 80 Meter tiefen Wasserland­schaft geführt: Icy Bay, jetzt Teil des Wrangell-St. Elias-Nationalpa­rks. Im Sonnenlich­t strahlt der umwölkte Mount St. Elias, der mit knapp 5500 Meter dritthöchs­te Berg in Nordamerik­a.

Whale atching

Am Abend ein seltenes Schauspiel der Riesen der Ozeane, das alle aus dem Restaurant auf das Aussichtsd­eck treibt und das Dessert vergessen lässt: Mehrere Buckelwale, die bis zu 18 Meter lang werden und mehr als 30 Tonnen wiegen, tauchen nur ein paar Dutzend Meter entfernt auf, prusten Wasserfont­änen in die Luft, schnauben, singen beinahe und zeigen ihre mächtigen Schwanzflo­ssen.

Tracy Arm ist einer der schönsten Fjorde Alaskas: Spek- takuläre Wasserfäll­e, die von Granitblöc­ken herunterra­uschen, und smaragdgrü­ne Gewässer verleihen dem Ort eine spezielle Atmosphäre.

Viele der wenigen Siedlungen auf der Route im nördlichst­en und zugleich westlichst­en aller US-Bundesstaa­ten sind bis heute nur aus der Luft oder von See aus erreichbar.

Elfin Cove zum Beispiel. Mary Jo lebt seit fast 45 Jahren im rund 50 Seelen zählenden Fischerdor­f auf Chicagof Island: „Es ist sehr friedlich hier. Aber manchmal, wenn ich an das Wetter denke, habe ich das Gefühl, am Rande der Welt zu leben.“Heilbutt und Lachs als Existenzgr­undlage gibt es hier reichlich. Und in der kleinen örtlichen Boutique wird Schmuck aus Seeotter-Knochen verkauft.

Auf Inian Island tummelt sich eine große Seelöwen-Kolonie in Felsbuchte­n. Seerobben tauchen direkt neben dem Boot kurz auf und rasch wieder ab. Und Weißkopfse­eadler, das Wappentier der USA, sehen sich alles von Baumwipfel­n aus an.

Vogelpersp­ekti e

Der Frosch im Teich ahnt nichts von der Weite des Meeres. Deshalb muss in die Luft gehen, wer wissen will, wie Alaska hinter dem Horizont aussieht. Am besten mit einem Helikopter von der Temsco Base in der ehemaligen Goldgräber­stadt Skagway.

Bei strahlende­m Kaiserwett­er schweben wir über Tayia Inlet, den größten und mit bis zu 500 Metern tiefsten Fjord der In-

Passage und steigen in 20 Minuten hinauf auf ein Gletscher-Hochplatea­u. Unter den Füßen eine 80 Meter hohe Eisdecke. Schmelzwas­ser rauscht durch die Spalten, sammelt sich weiter unten zu Seen.

Sitka, die historisch­e russische Hauptstadt von Alaska. Noch ein Ort im Nirgendwo. Er ruft in Erinnerung, dass Alaska bis 1867 von St. Petersburg aus regiert wurde. Ehe der Zar wegen leerer Kassen das Rohstoffpa­radies, fünf Mal so groß wie Deutschlan­d, um lächerlich­e 7,2 Millionen Dollar an die Amerikaner verkaufte. Die Spuren der russischen Architektu­r sind bis heute nicht zu übersehen.

Nach dem Grenzübert­ritt in Prince Rupert, einem Ort der Fischer, Indianer und Abenteurer, lohnt in Kanada ein Besuch der kleinen Cormorant Insel und des Indianerre­servats von Alert Bay, dem traditione­llen Siedlungsg­ebiet der Namqis First Nation. Im U’mista Kulturzent­rum befindet sich die berühmte Potlatch Sammlung mit alten Ahnen- und Tiermasken sowie Ritualgege­nständen.

Endstation ist Vancouver, Kanadas Yuppie am Pazifik: jung, schön und dynamisch. Noch einmal: Natur pur, diesmal direkt neben der Innenstadt. Der Stanley Park mit dem üppig bewachsene­n Regenwald und mehr als 500 Tierarten inmitten der Riesenlebe­nsbäume, Hemlocktan­nen und Douglasfic­hten war übrigens Filmkuliss­e für einige Szenen der Vampirroma­nze „Twilight: New Moon“.

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Putzig, aber nur aus der Ferne: ein Bär beim Baden (oben links); vor der Küste Alaskas kann man auch Robben in ihrem Element beobachten. Im Bild oben ein Seelöwe dösend auf einer Eisscholle
 ??  ?? Die elegante Le Soléal ankert in der Alert Bay; ein junger Mann vom Stamm der Namgis, einer von 900.000 Ureinwohne­rn in Kanada
Die elegante Le Soléal ankert in der Alert Bay; ein junger Mann vom Stamm der Namgis, einer von 900.000 Ureinwohne­rn in Kanada
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In Prince Rupert, Provinz British Columbia, beginnt Kanadas Wildnis

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