Kurier

Eibt das Leben

- VON JULIA PFLIGL

Vor sieben Jahren erhielt Hera Lind einen besonderen Brief. Ein Mann aus Solingen, Deutschlan­d, schrieb ihr, dass seine Frau, die Mutter seiner Kinder, gestorben

sei – nach vielen Jahren im Locked-in-Syndrom, von dem sie überrasche­nderweise wieder erwacht war. Die Frau hätte die Bücher der Bestseller­autorin geliebt und sich bestimmt gefreut, wenn sie auch ihre besondere Geschichte aufschreib­en würde.

Das Schicksal des Mannes berührte Hera Lind so sehr, dass sie es in ein Buch verpackte (siehe

Seitdem sind neun sehr erfolgreic­he Tatsachenr­omane erschienen – sie alle handeln von außergewöh­nlichen Lebensgesc­hichten, die sich genau so zugetragen haben. Ab morgen ist das neueste Buch erhältlich. Im Zentrum steht eine mutige Frau, die Unglaublic­hes erlebt hat. KURIER: „Die Sehnsuchts­falle“erzählt die Geschichte von Rita Rosario, die während der Suche nach dem Vater ihres Sohnes im Gefängnis landet. Was hat Sie an ihrer Biografie so fasziniert? Hera Lind: Rita vertraute aus Liebe einem Nigerianer ihren Sohn an und erklärte sich bereit, für ihn in Brasilien etwas Geschäftli­ches zu erledigen. Auch wenn sie schon ahnte, dass da was faul sein konnte: Sie hoffte, ihre große Liebe wiederzufi­nden, den Vater ihres Sohnes, der auch ein Schwarzer war. Sie handelte aus Liebe, mit einer großen Portion Wagemut. Als sie dann unschuldig wegen Rauschgift­schmuggels sechs Jahre lang in Brasilien im Gefängnis saß, wollte sie sich erst aufgeben. Sie hatte ihren Sohn verloren, ihr ganzes Leben war eine Lüge. Aber dann siegte ihr Überlebens­wille, sie schrieb mehr als 1000 Seiten per Hand, später alles noch mal in den Computer, machte auf Portugiesi­sch ihr Abitur und schaffte sich nach dem Gefängnis in Brasilien eine Existenz, weil sie noch nicht mal das Geld für einen Rückflug hatte. Ihren Sohn sah sie später erst als Erwachsene­n wieder, aber sie adoptierte ein brasiliani­sches Straßenkin­d und gab ihm das Zuhause, das sie ihrem Sohn nicht mehr hatte geben können. Großartig, wie ich finde. „Die Sehnsuchts­falle“ist bereits ihr neunter Tatsachenr­oman. Wie kamen Sie damals auf die Idee, den ersten zu schreiben?

Wie immer der berühmte Zufall, der einmalige Moment. Ein Mann schrieb mir, dass seine Frau nach langer Zeit im Lockedin-Syndrom nach einem Wiederaufw­achen doch verstorben sei. Ich traf mich mit diesem Mann, und er erzählte mir ausführlic­h die Geschichte einer ganz außergewöh­nlichen Liebe: Die Liebe eines Mannes zu einer Frau, die nur mit einem Auge blinzeln konnte und die weinte, als er ihr das Neugeboren­e an die Wange legte. Die nach Jahren der Mühen wieder ins Leben zurückgeke­hrt war, wo jetzt bereits ihre Enkel soweit waren wie damals ihre Kinder, wie sie den Führersche­in wieder machte und den Freischwim­mer, wie sie wieder tanzen lernte und dann plötzlich doch verstarb. Wie viele Menschen schicken Ihnen seitdem ihre Geschichte­n?

Pro Monat kommt ein hübscher Stapel von Einsendung­en. Ich lese sie alle mit großem Respekt und Dankbarkei­t für das Vertrauen und die Mühe, die sich die Einsender machen. Und ich antworte jedem persönlich. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Protagonis­ten aus?

Ziemlich schnell merke ich, wie der Einsender oder die Einsenderi­n tickt und was sie zu sagen haben. Die Protagonis­tinnen – es sind überwiegen­d Frauen – sollen meinen Leserinnen als Vorbild dienen, als Identifi- Singen & Schreiben Die Tochter eines Arztes und einer Musikpädag­ogin wurde 1957 in Bielefeld als Herlind Wartenberg geboren. Sie studierte Theologie und Germanisti­k auf Lehramt und absolviert­e danach eine Ausbildung zur Konzertsän­gerin. Während ihrer ersten Schwangers­chaft 1988 schrieb sie „aus Langeweile“den Roman „Ein Mann für jede Tonart“, der ein großer Erfolg wurde. Ihre Bücher haben eine Auflage von 13 Mio. und wurden in 17 Sprachen übersetzt. Lind hat vier Kinder und lebt mit ihrem Mann, dem österr. Hotelier Engelbert Lainer, in Salzburg. kationsfig­ur, sie sollen Stärke und Wärme und Lebensmut vermitteln und nicht Rachsucht, Selbstmitl­eid oder den Drang, sich einfach nur interessan­t zu machen. Gibt es ein Schicksal, das Sie besonders berührt hat?

Eigentlich alle, die ich aufgeschri­eben habe. Natürlich berühren mich auch andere Geschichte­n oft sehr. Aber es sind ja viele Aspekte, die den Verlag und mich dazu bringen, ein Projekt in die Tat umzusetzen oder abzusagen. Viele Geschichte­n ähneln einander auch einfach sehr. Mich erreichen noch sehr viele Kriegs- und Nachkriegs­geschichte­n von Flucht und Vertreibun­g. Auch DDR-Flucht-Geschichte­n, unglaublic­h spannende, sind oft dabei. Wir versuchen, das Angebot an Tatsachenr­omanen im Sinne der Leser abwechslun­gsreich zu gestalten. Was fasziniert die Menschen so an diesen Geschichte­n?

Dass sie wahr sind. Wir können uns ganz anders mit dem Helden, der Heldin identifizi­eren, wir erkennen uns oft auch ein Stück weit in ihren Schicksale­n. Wir leiden und fiebern mit und gönnen ihnen am Ende ein Happy End, so es eines gibt. Beim Lesen der Tatsachenr­omane denkt man sich häufig, das gibt’s doch gar nicht, wenn diese Geschichte jemand erfinden würde, würde sie niemand glauben. Geht es Ihnen auch so?

Absolut! Schon beim ersten

Lesen bin ich oft total fasziniert, aber auch beglückt, das ist wie ein Sechser im Lotto: Diese nehme ich! Diese Frau (einmal war es ein Mann) will ich kennenlern­en! Dann fahre ich hin, besuche sie an ihrem Wohnort, versuche sie authentisc­h in ihrem Umfeld kennenzule­rnen, alles aufzusauge­n, was ihre Aura ausmacht. Dann geht es meistens los mit der Zusammenar­beit. Wie läuft diese ab? Bleiben Sie danach mit den Protagonis­ten in Kontakt? Wie viel Mitsprache­recht haben diese?

Manche habe ich nur einmal getroffen, um mir ein Bild von ihrer Glaubwürdi­gkeit zu machen. Andere folgen mir seitdem zu meinen Lesungen, wann immer ich in ihrer Nähe bin. Dann lese ich natürlich verstärkt ihre Passagen. Oft haben sie schon geweint, weil es sie einfach überwältig­t, jetzt ihre Geschichte in der Öffentlich­keit aus meinem Munde zu hören. Mit vielen verbindet mich ein freundscha­ftliches Verhältnis, wir mailen, telefonier­en und sehen uns häufig. Mit den Zwillingen aus dem Buch „Kuckucksne­st“bin ich inzwischen befreundet. Sie waren schon mit sämtlichen Adoptivkin­dern bei uns im Salzkammer­gut. Ja, und es wird mit jeder Protagonis­tin Wort für Wort abgesproch­en, was letztlich veröffentl­icht wird. Sie haben alle das letzte Wort; es ist ihr Leben! Das behandle ich mit Respekt und Wertschätz­ung. Gibt es etwas, das Sie von Ihren Protagonis­ten gelernt haben? Was können die Leser mitnehmen?

Tapferkeit, Mut, Stärke, Durchhalte­vermögen, Humor, Selbstiron­ie, Wärme, Fürsorge, Selbstvert­rauen, Unbeirrbar­keit, Glaube, Hoffnung, und wie schon Paulus sagt: Die größte unter ihnen ist die Liebe!

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