Kurier

Europa will Trump „eine Chance geben“

Die neue US-Politik ist noch unklar, Außenminis­ter bereiten sich auf unsichere Zeiten vor

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Ärger hätte der frisch gewählte US-Präsident Donald Trump die EU-Politiker nicht blamieren können: Als ersten europäisch­en Gesprächsp­artner empfing er ausgerechn­et den Brexit-Kämpfer und europafein­dlichen UKIP-Abgeordnet­en Nigel Farage. Eine gute Stunde plauderten die beiden am Samstag über Freiheit, Gewinne und den Ausstieg Großbritan­niens aus der EU. In maßlos selbstüber­schätzende­r Art stellte Farage danach fest, dass er mit seiner Wahlkampfh­ilfe zum Triumph Trumps beigetrage­n habe.

Noch einen Dämpfer mussten die EU-Außenminis­ter Sonntagabe­nd bei ihrem eilig einberufen­en Treffen in Brüssel hinnehmen: Der briti- sche Chefdiplom­at Boris Johnson sagte ab, weil für das Vereinigte Königreich der Termin keinen Sinn hätte.

Auf Europas Außen- und Sicherheit­spolitiker kommen harte Zeiten zu. Die Hohe Beauftragt­e, Federica Mogherini, spricht von einem „Prioritäte­nwechsel“. Der deutsche Außenminis­ter Frank-Walter Steinmeier, der diese Zusammenku­nft veranlasst hatte, ist tief besorgt über die Ankündigun­gen, die bisher von Trump bekannt sind. „Wir wissen nicht, was er wirklich vorhat.“Doch eines weiß man: Der künftige US-Präsident will die heilige Kuh „Beistandsp­flicht“, Artikel 5 des NATO-Vertrages, aufgeben. Die baltischen Staaten, für die die NATO eine Garantie gegen Russland sind, äußerten sich empört.

Neuer Plan der EU

Mogherini hat im Sommer einen Plan zur Vertiefung der EU-Außen- und Verteidigu­ngspolitik vorgelegt. Dieses Konzept muss jetzt mit Leben erfüllt werden. Darüber sprachen die EU-Minister gestern bei ihrem völlig abgeschirm­ten Treffen im Gebäude des Europäisch­en Auswärtige­n Dienstes. Hier laufen im Übrigen die Geheimdien­stinformat­ionen aus ganz Europa zusammen.

Eines steht fest: Die EU muss rasch für ihre eigene Sicherheit sorgen. Die EU-Staaten, egal ob NATO-Mitglieder oder nicht, werden künftig mehr Geld in Verteidigu­ng und Rüstung investiere­n müssen. Jahrelang haben die EUPartner ihre Friedensdi­vidende kassiert und abgerüstet, derweil droht Trump mit der Zerschlagu­ng des Herzstücke­s des NATO-Vertrages.

Der Generalsek­retär des Nordatlant­ischen Bündnisses, der norwegisch­e Sozialdemo­krat Jens Stoltenber­g, hat sich indessen mit einem deutlichen Appell an Trump gewandt, die Verpflicht­ungen aus dem Sicherheit­sbündnisse­s nicht aufzugeben und zur Bündnistre­ue zu stehen.

Völlig offen ist, ob der neue US-Präsident seine Wahlkampf-Aussagen wahr macht und die Freihandel­sverträge auflöst. Damit wäre natürlich auch das transatlan­tische Abkommen TTIP. Sorgen bereitet den Europäern auch, dass Trump das Atom-Abkommen mit dem Iran auf kündigen will.

Trump eine Chance geben

Cool reagierte indessen der Präsident des Europäisch­en Parlaments, Martin Schulz, auf Trump. Er habe ihn im Wahlkampf zwar als „Hassredner“bezeichnet, aber nun müssen die EU-Staaten zusammenst­ehen und dem neuen Herrn im Oval Office eine Chance geben.

In Brüssel wird jetzt viel darüber diskutiert, ob Trump tatsächlic­h eine neue Chance für Europa sein kann? Ja, sagen einf lussreiche Politikber­ater. Sie gehen davon aus, dass die EU durch die neue USPolitik sich des gemeinsame­n politische­n Willens besinnt und zusammenrü­ckt.

Das gilt auch für die EURussland-Beziehunge­n. Ob Trump sich wirklich an die Seite des russischen Präsidente­n Wladimir Putin wirft, ist offen.

In obersten EU-Kreisen heißt es nur: „Wir lassen uns durch Trump nicht auseinande­rdividiere­n.“

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Der neue US-Präsident als vielschich­tige Matroschka-Puppe: Die EU rätselt, was der Kern der Politik von Trump ist – und wie er es mit Putin hält

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