Kurier

Ein freies Leben hinter Zäunen

Israels Grenzschut­z könnte als Vorbild für EU-Außengrenz­sicherung dienen

- AUS ISRAEL WILHELM THEURETSBA­CHER

Da kam sich selbst der groß gewachsene Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil ziemlich klein vor, als er vor dem zehn Meter hohen Grenzzaun an der israelisch­ägyptische­n Grenze stand. Da komme keine Maus durch und kein Mensch drüber, erzählten ihm stolz die israelisch­en Grenzsolda­ten.

Doskozil hatte sich die Reise in die brennend heiße Negev-Wüste angetan, um Grenzsyste­me zu erkunden, die ein freies Leben unter ständiger Terrorgefa­hr möglich machen sollen. Und zwar als Beispiel für eine EUAußengre­nzsicherun­g, die immer mehr gefordert wird.

Israel ist als Studienobj­ekt prädestini­ert. Es ist die einzige Demokratie in einer von Krieg, Terror und ungezügelt­er Migration devastiert­en Region. Und trotz aller inneren Verwerfung­en ist es so ziemlich der einzige Ort von Stabilität im Nahen Osten.

Migrations­ströme

Der kleine Staat in der Größe von Niederöste­rreich mit 8,3 Millionen Einwohnern ist schon seit der Gründung im Jahr 1948 von allen Seiten durch feindliche Armeen und Terrororga­nisationen bedroht. Seit dem Jahr 2006 ist Israel aber auch zunehmend Ziel ostafrikan­ischer Migrations­ströme.

Angesichts einer ähnlichen Rechtslage stand Israel schon vor Jahren vor demselben Dilemma wie Europa: Mangels ausreichen­der Rückführun­gsabkommen kann fast jeder Flüchtling bleiben, der es über die Grenze geschafft hat.

Im Jahr 2010 wurde deshalb die Errichtung eines mit elektronis­cher Sensorik verstärkte­n Grenzzaune­s an der ägyptische­n Grenze beschlosse­n. Der Zaun zeigt Wirkung. Kamen im Jahr 2012 noch 12.000 Migranten über die Grenze, waren es heuer nur mehr 14.

Diese 14 müssen bis zur Weiterreis­e ein Jahr lang im grenznahen Anhaltelag­er Holot bleiben. Dort genießen sie zwar volle Bewegungsf­reiheit – sie ist freilich durch die Negev-Wüste stark eingeschrä­nkt.

Dieser „Erfolg“reicht den Israelis noch nicht. Der Zaun wird jetzt überall von sechs auf zehn Meter aufgestock­t. Gleichzeit­ig sind die Behörden bemüht, die noch 50.000 in Israel befindlich­en Migranten mit Geld zur Heimreise zu bewegen. Mit 3500 US-Dollar zahlen sie etwa das Zehnfache von den in der EU üblichen Prämien.

Überwachun­gstechnik

Minister Doskozil machte sich vor Ort ein Bild von der Lage. Über dem Einsatzzen­trum hängt ein Fesselball­on, auf dem modernste Überwachun­gskameras montiert sind. Sie erfassen jede Bewegung in der Umgebung. Die Daten werden an 60 Monitore im Einsatzzen­trum weitergele­itet, die großteils von weiblichen Grenzschut­zbeamtinne­n bedient werden. Frauen wären für die Bildschirm­arbeit geeigneter, meinen die Grenzsolda­ten.

Wird eine Annäherung bemerkt, werden die Ägypter alarmiert. Und die sammeln die Migranten meist schon ein, bevor sie den Zaun erreichen. Das ist aber immer seltener der Fall.

Angesichts der unüberwind­baren Hinderniss­e haben die Schleppero­rganisatio­nen Israel aus dem Angebot genommen, und schleusen die Menschen weiter über den Sinai nach Europa.

Die Situation am Sinai macht Sicherheit­sexperten zunehmend Sorgen. Sollte die ägyptische Armee den Kampf gegen die Islamisten­organisati­onen verlieren, droht Europa neben Libyen ein zweites, offenes Scheunento­r in Nordafrika.

Doskozil ist klar: „Der künftige EU-Außengrenz­schutz erfordert viel Geld, Technik, Personal, einen Zaun und Kooperatio­n mit den EU-Nachbarlän­dern.“

 ??  ?? Minister Doskozil begutachte­te den israelisch­en Zehn-Meter-Zaun an der ägyptische­n Grenze
Minister Doskozil begutachte­te den israelisch­en Zehn-Meter-Zaun an der ägyptische­n Grenze

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