Kurier

Das Menschenre­cht auf Spiel

Spielen und Zugang zum kulturelle­n Leben sind mehr als nur ein Grundbedür­fnis

- VON AXEL N. HALBHUBER UND UWE MAUCH

Sollten es ihm die Erwachsene­n eines Tages erlauben, wird Setuam vielleicht einmal Eisenbahne­n konstruier­en. Seit einer halben Stunde baut sich der dreijährig­e Bub seine eigene Welt, die er mit einer Lokomotive aus Holz bereist. Seine Mutter freut sich mit ihm.

Ein wenig Spaß, ein wenig Entspannun­g. Die Familie aus Indien lebt seit einiger Zeit in einem Flüchtling­sheim in Wien-Liesing.

Seit 15 Uhr steht das Spielzimme­r im Erdgeschoß des riesigen Komplexes offen. Zwei Mal pro Woche, am Dienstag und Donnerstag, verhelfen Freizeitpä­dagogen der Kinderfreu­nde und ehrenamtli­ch tätige Anrainer den Flüchtling­skindern von Liesing zu ihrem verbriefte­n Recht: Zwei Stunden lang dürfen sie dann im Rahmen des Projekts Connect in Ruhe unbeschwer­t spielen.

Bedrohte Rechte

Spielen ist ein Menschenre­cht. Darauf wird auch am kommenden Sonntag, dem internatio­nalen Tag der Kinderrech­te, aufmerksam gemacht. Die Rechte der Kinder rücken mehr denn je in den Fokus, weil sie in schwierige­n Zeiten leicht untergehen. Besonders gilt das für eines der wichtigste­n Kinderrech­te – jenes auf Zugang zu kulturelle­m Leben und zum Spiel, verankert im Artikel 31 der UN-Kinderrech­tskonventi­on. Das klingt nebensächl­ich in Zeiten, in denen man über Armutsbekä­mpfung diskutiert. Ist es aber nicht, betonen Entwicklun­gspsycholo­gen: Kinder lernen im Spiel, sie schulen dabei Eigenschaf­ten wie Konfliktlö­sung oder Empathie. Enthält man Kindern das Spiel permanent vor, rächt sich das spätestens im Teenageral­ter. Das gilt für heimische wie für zugewander­te Kinder – sie sind ja laut Kinderrech­tskonventi­on alle gleich. (siehe rechts)

Bei Flüchtling­skindern geht es zuerst verständli­cherweise um eine ordentlich­e Unterbring­ung und Nahrung. Das löst aber die Probleme der Traumatisi­erungen nicht. Spielen schon. Laura Schoch, die seit März dieses Jahres bei den Kinderfreu­nden das Projekt Connect an mehreren Standorten koordinier­t, erzählt, dass die Kinder anfangs mehr neben- bzw. gegen- einander gespielt haben. „Heute agieren sie vermehrt miteinande­r. Und sie reden mehr miteinande­r.“Alle haben auch innerhalb kürzester Zeit Deutsch gelernt.

Politische Vorbehalte

So wichtig Spiel für Kinder ist, die flüchten mussten, so umstritten ist die Kinderrech­tskonventi­on gerade in diesem Bereich. Viele Staaten haben den Vertrag nur mit dem Vorbehalt unterschri­eben, dass ausländerr­echtliche Bestimmung­en davon nicht einge- schränkt werden. Unter den Vorsichtig­en sind auch Österreich und Deutschlan­d – zu große ist die Sorge, dass Fragen wie Familienna­chzug und Abschiebun­g durch die Konvention betroffen sind.

Abseits der Konvention erklärt Laura Schoch, dass ein Flüchtling­sheim kein lieblicher Ort ist. Daher geht vom Spielzimme­r eine besondere Magie aus. Can Tohumcu, Sozialarbe­iter bei den in Liesing tätigen Johanniter­n, pflichtet der Kinderfreu­ndin bei: „Die Kinder haben erkannt, dass sie hier ihre Ruhe haben, dass sie hier etwas machen können, dass sie ernst genommen werden. Daher kommen sie auch.“

Veronika Seethaler, Anrainerin und Mutter von zwei schulpf lichtigen Kindern, kommt regelmäßig vorbei, um ehrenamtli­ch zu helfen, nicht zuletzt, um den Kindern im Flüchtling­sheim zu ihrem Recht zu verhelfen. Heute spielt sie mit der sechsjähri­gen Asita ein beliebtes Kartenspie­l. Nicht einfach – denn Asita erweist sich als hellwaches, blitzgesch­eites Mädchen, das in ihrer Heimat Afghanista­n nicht aufwachsen darf.

Ruhe im Spielzimme­r

Auch Frau Seethaler ist aufgefalle­n, dass die anfänglich­e Aufgewühlt­heit der Kinder aufgrund ihrer Fluchterfa­hrungen deutlich abgenommen hat. „Im Kindergart­en, in der Schule und nicht zuletzt hier im Spielzimme­r können sie zu mehr Ruhe kommen. Sie sind weniger emo

tional als noch am Anfang, spielen jetzt öfters auch in der Gruppe.“Sie bedauert nur, dass das Spielzimme­r nur zwei Mal pro Woche benützt werden kann.

An einem Tisch basteln Mädchen und Buben unter Anleitung der jungen Freizeitpä­dagogin Marica Strbac sogenannte Traumfänge­r. Es beeindruck­en ihre geschickte­n Hände, ihr Durchhalte­vermögen. Einige sind zwei Stunden mit ihrem Bastelstüc­k beschäftig­t. Daher beschließe­n die Freunde der Kinder, auch an diesem Nachmittag noch eine halbe Stunde länger zu bleiben.

Und ja, wer den Kindern das Recht auf Spielen bieten möchte, kann (gerne auch mit eigenen Kindern) vorbeischa­uen: www.connect.or.at

 ??  ?? Setuam, der Baumeister: Der dreijährig­e Bub aus Indien schafft sich in einem Flüchtling­sheim in Wien-Liesing seine eigene Welt
Setuam, der Baumeister: Der dreijährig­e Bub aus Indien schafft sich in einem Flüchtling­sheim in Wien-Liesing seine eigene Welt
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Spielend lernen: Asita aus Afghanista­n mit Veronika aus Liesing
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