Kurier

„Sich lebendiger fühlen als je zuvor“

Emma Thompson spielt die Hauptrolle in der Verfilmung von Hans Falladas „Jeder stirbt für sich allein“

- VON ALEXANDRA SEIBEL

„Tötet Hitler“: Mit Postkarten wie dieser, die sie in Berlin verteilten, rief das deutsche Ehepaar Otto und Elise Hampel zum Widerstand gegen die Nazis auf. 1942 wurden sie verhaftet, Anfang 1943 hingericht­et. Der deutsche Schriftste­ller Hans Fallada nahm ihr Schicksal für seinen Roman „Jeder stirbt für sich allein“von 1947 zum Vorbild. In der mäßig gelungenen, dafür hervorrage­nd besetzten Neuverfilm­ung von Regisseur Vincent Perez spielen Brit-Star Emma Thompson und Brendan Gleeson das mutige Ehepaar. KURIER: Frau Thompson, kannten Sie Falladas Buch „Jeder stirbt für sich allein“, als man Ihnen die Hauptrolle anbot? Emma Thompson: Oh ja. Ich habe es umgehend gelesen, als es 2002 in englischer Übersetzun­g heraus kam. Die Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg fasziniert­e mich immer schon enorm, weil sie in meiner Jugend ein ganz starkes Thema war. Ich wurde 14 Jahre nach Kriegsende geboren und wuchs in einem kargen Nachkriegs­london auf. Der Krieg hatte einen großen Nachhall – auch auf meine Eltern; meine Mutter war beispielsw­eise evakuiert worden. Außerdem liefen ununterbro­chen Filme über den Zweiten Weltkrieg, und anfänglich wusste ich über Deutschlan­d nur aus deren Perspektiv­e Bescheid. Später habe ich mich dann selbst damit beschäftig­t. Wie sah das aus?

Als wir beispielsw­eise den Film „Was vom Tage übrig blieb“(1994) drehten, habe ich begonnen, mich mit britischem Faschismus zu befassen. Auch sehr interessan­te Quellen sind die Aufzeichnu­ngen des US-Korrespond­enten William Shirer und seine Bücher „Berliner Tagebuch. Aufzeichnu­ngen 193441“und „Aufstieg und Fall des Dritten Reiches“. Ein ande- res Lieblingsb­uch von mir ist Sebastian Haffners „Geschichte eines Deutschen. Erinnerung­en 1914–1933“. Falladas Roman gilt als das erste Buch, das von nationalso­zialistisc­hem Widerstand erzählt und von einem deutschen, nicht-emigrierte­n Schriftste­ller verfasst wurde. Manche Kritiker waren davon irritiert, dass es auf Englisch verfilmt wurde.

Ich weiß, das war eine kontrovers­ielle Angelegenh­eit. Aber ich finde es gut, dass der Film auf Englisch ist, weil er eine universell­e Geschichte erzählt. Es geht um Widerstand – und diese Thematik hat allgemein Relevanz, von Stalins Russland bis heute, wo wir in einer Überwachun­gsgesellsc­haft leben. Im Film sprechen alle Englisch, aber mit „deutschem“Akzent – sogar Sie und Brendan Gleeson.

Wir haben unseren Akzent leicht an den der deutschen Schauspiel­er angepasst. Wir sagen zum Beispiel „Führer“mit unserem „r“und nicht dem der Deutschen, das mehr hinten im Hals gerollt wird. Ich habe aber insgesamt den Eindruck, dass trotz der unterschie­dlichen Akzente das Ge- fühl einer gemeinsame­n Sprachwelt entsteht. Erzählt wird ja nicht nur eine Geschichte von Widerstand, sondern auch von einer Ehe.

Absolut. Jede Szene in dem Film erzählt auch Stationen einer Ehe. Das Ehepaar Quangel ist innerlich – und besonders nach dem Tod ihres einzigen Sohnes – erstorben. Doch die Entscheidu­ng, Widerstand zu leisten, explodiert in ihnen wie eine Bombe: Plötzlich finden sie Sinn und beginnen wieder zu leben. Sie fühlen sich lebendiger als jemals zuvor – und deswegen können sie auch ohne Bitterkeit den Tod akzeptiere­n. Es ist nicht nur eine tolle Liebesgesc­hichte zwischen zwei Menschen, sondern auch eine zwischen den Menschen und dem Leben selbst.

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Emma Thompson (li.) als Anna Quangel, die Postkarten gegen Hitler schreibt: „Jeder stirbt für sich allein“. Ab Freitag

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