Handelspakt mit Asien statt den USA
Alles plötzlich anders? Welchen Wirtschaftskurs die EU nach Brexit und Trump einschlagen sollte
TTIP ist tot – Ökonom Daniel Gros sieht das als Chance: Asien sei bereits wichtiger als die USA.
Der Brexit der Briten und der Wahlsieg von Donald Trump in den USA stellen jahrzehntelange Gewissheiten auf den Kopf. Statt um neue Mitglieder zu buhlen, ist die EU plötzlich auf Schrumpfkurs. Und statt den Handel auszuweiten, gibt es jenseits des großen Teichs einen Präsidenten, der die USA lieber einigeln möchte. Welche Folgen hat das?
– Weniger Gewicht Fakt ist: Europas Stellenwert in der Welt schrumpft. Diese bittere Erfahrung musste die britische Premierministerin Theresa May kürzlich machen. Sie warb in Indien für ein Handelsabkommen und holte sich eine glatte Abfuhr. Da sollten die Briten erst einmal die Visaregeln für indische Studenten und Fachkräfte lockern, verlangte Premier Narendra Modi. Fazit: Die Inder sind heute selbstbewusst genug, um sich von früheren Kolonialherren nichts sagen zu lassen. Alte Größe zählt nichts. Das gilt für die Briten, die EU als Ganzes, aber auch die USA: Die Wirtschaftskraft der asiatischen Schwellenländer (das umfasst China, Indien sowie Bangladesch bis Vietnam) ist mit 32 Prozent Weltmarktanteil schon gleich groß wie jene von USA und EU zusammen, wenn man die Kauf kraft berücksichtigt. Wer glaubt, auf sich allein gestellt besser abzuschneiden, dem droht ein böses Erwachen. – Trügerisches Rezept Trump erweckt den Eindruck, als habe der globale Freihandel den USA die Industriejobs geraubt. Das ist paradox: Eine Analyse zeigt nämlich, dass die USA von 1990 bis 2014 die mit Abstand meisten Handelsbarrieren und Schutzmaßnahmen (450) verhängt haben, noch vor Indien (350), Russland und Brasilien. Das Rezept hat also bisher schon nicht funktioniert. – Neu orientieren TTIP ist tot. Die USA sind an dem Freihandelsabkommen mit der EU nicht mehr interessiert – zu groß sind die Differenzen. Die EU sollte sich in Richtung Asien orientieren und eine Allianz mit China und den anderen Pazifikstaaten anstreben, rät der Ökonom Daniel Gros. Das könnte von Investitionen über Handel bis zum Klimaschutz reichen, von dem sich Trump wohl ver
abschiedet. – Zurück zu den Wurzeln Europas Einigung entstand aus einem Kalkül: Die Erzfeinde Frankreich und Deutschland sollten einander nicht mehr bekriegen, deshalb übertrug man ihnen gemeinsam die Kontrolle über die Kriegsgüter Kohle und Stahl. Motto: Wer Handel treibt, schießt nicht aufeinander. Der Grund, warum die EU ständig gewachsen ist, war freilich: Es haben alle profitiert. Reiche Industriestaaten (wie Österreich) erschlossen sich neue Märkte und trugen mit Investitionen bei, dass ärmere Länder (in Osteuropa) auf holen. Aber funktioniert dieses Erfolgsmodell noch? Die Eurokrise ist aus dem Bewusstsein gerückt, aber nicht ausgestanden. In Italien könnte sie rasch wieder hochkochen. Die EU muss die Währungsunion flott und endgültig krisensicher machen. – Binnenmarkt neu Soll die EU beim Brexit auf die „reine Lehre“pochen, dass es Marktzugang für die Briten nur gibt, wenn sie die vier Grundfreiheiten einhalten? Sind Kompromisse denkbar – oder wäre das der Anfang vom Ende, weil dann alle Länder Sonderregeln fordern, etwa um ihren Arbeitsmarkt zu schützen? „Die reine Lehre gibt es in der EU nie“, sagt Gros. Er glaubt an eine Lösung mit den Briten. Diese müssten aber ebenfalls Abstriche machen. – Globalisierung für alle Will Europa beweisen, dass der Trump-Kurs in die Irre führt, muss es ein funktionierendes Gegenkonzept finden: Freien Handel, der nicht nur die Oberen Zehntausend reicher macht. Und Wachstum, das nicht auf dem Raubbau an der Umwelt und auf Schulden gründet, sondern auf nachhaltigem Wirtschaften.