„Abschottung ist immer gescheitert“
Der führende EU-Parlamentarier Lange sieht Handelskrieg-Tendenzen, hofft aber auf die Vernunft
Er ist der mächtigste Mann im EU-Parlament, wenn es um Handelsfragen wie TTIP und Co. geht: Der KURIER sprach mit dem deutschen Sozialdemokraten Bernd Lange (61) über Trump und die Folgen. KURIER: Sehen Sie die Gefahr eines Handelskrieges? Bernd Lange: Die Tendenz dazu haben wir. Wir haben in den letzten Jahren weltweit 600 neue protektionistische Maßnahmen (Handelsbarrieren) gesehen. Trumps Ankündigungen sind Indizien in diese Richtung. Ich sehe schon die Gefahr einer Zeitenwende im globalen Handelsregime und darüber hinaus. Wem nützt eine Abschottung? Könnten sich die USA auf Kosten aller anderen profilieren?
Die USA sind zwar groß, aber in Bereichen wie dem Maschinenbau vom internationalen Handel abhängig. Alle Versuche einer Abschot- tung sind grandios gescheitert, zuletzt in Argentinien. Ich gehe davon aus, dass Vernunft einkehren wird. Das geplante TTIP-Abkommen der USA mit der EU ist aber tot?
TTIP ist Geschichte, ja. Ohne Chance auf eine spätere Neubelebung?
Ich kann es mir nicht vorstellen. Wir haben drei Jahre verhandelt und sind bei den heißen Kartoffeln schon unter Obama nicht vorangekommen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass es unter der Trump-Administration mit republikanischen Mehrheiten in beiden Häusern klappt. Soll sich die EU jetzt in Richtung Asien umorientieren?
Wir verhandeln ja gerade mit Japan, reden mit den südostasiatischen ASEAN-Staa- ten, mit Vietnam haben wir ein Abkommen. Derzeit machen die EU und USA die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung aus, 2030 werden es vermutlich nur noch 30 Prozent sein. Andere werden stärker, deshalb brauchen wir Regeln, die den Handel nicht nur frei, sondern fair machen. Wie soll das funktionieren?
Dafür müssen wir in der Welthandelsorganisation (WTO) Verbündete finden. Es müssen ja nicht immer alle 164 Länder an Bord sein. 98 Prozent des Handels laufen unter WTO-Regeln, das sollte man verstärken: Arbeitnehmerrechte, Standards, Korruptionsbekämpfung. Wie muss fairer Handel aussehen, der allen zugutekommt?
Es ist ein Fakt, dass Handel Wachstumsimpulse, In- novationen und höhere Löhne generiert. Die Frage ist, ob der Mehrwert gerecht verteilt wird. Geht das Geld in der Dritten Welt in Schulen und Infrastruktur, oder stecken es einige wenige in die Tasche? Auch bei uns geht es um soziale Gerechtigkeit und Verteilung von Reichtum. Ist das somit einzig und allein Aufgabe der nationalen Politik?
Nein, auch die europäische Ebene ist stark gefordert. Handel kann einen Beitrag für alle leisten, aber dazu muss man aktiv Politik gestalten. Wir haben zwar einen kleinen Fonds für die Verlierer der Globalisierung, aber der reicht sicher nicht aus. Handelshürden, Aufstieg der Populisten: Tappen wir in dieselbe Falle wie nach der Großen Depression der 1930er?
Da sehe ich in der Tat ein Problem. Eine Studie der Uni Heidelberg zeigt: Die Deutschen haben ammeisten Angst vor Kontrollverlust; dem Gefühl, ihre Lebensentwicklungen nicht mehr selbst zu bestimmen, weil sie abhängig sind von Mächten wie der Globalisierung, Banken, oder sonst was. Lässt die Politik diesen Gefühlen Raum, drohen ähnliche Entwicklungen. In Österreich war die Anti-TTIPHysterie besonders stark. Manche Sorgen etwa vor Jobverlusten sind aber doch begründet.
Schweden ist eine der offensten Volkswirtschaft, dort ist das Bewusstsein für den Handel aber viel positiver. Wir müssen das angehen und vernünftige soziale Sicherungssysteme und Förderungen für die Globalisierungsverlierer schaffen.