Kurier

Wiener Arbeitslos­e zu wenig mobil

Kaum jemand sucht österreich­weit nach Arbeit. AMS-Wien-Chefin Petra Draxl über Ursachen und Gegenstrat­egien.

- VON ANITA STAUDACHER

KURIER: Im Westen Österreich­s herrscht Personalma­ngel, in Wien Rekordarbe­itslosigke­it. In den Salzburger Skihütten arbeiten vor allem Ungarn, aber keine Wiener. Warum ist das so? Petra Draxl: Zum Teil deshalb, weil von den Arbeitgebe­rn nicht in Wien um Personal geworben wird, sondern in Ungarn oder anderswo in der EU. Die kommen dann auch. Je höher das Lohngefäll­e, desto größer die Mobilitäts­bereitscha­ft. Die gehen auch für ein halbes Jahr woanders arbeiten, weil es sich immer noch auszahlt. Wollen die Wiener Arbeitslos­en überhaupt woanders arbeiten?

Wir haben soeben eine Befragung durchgefüh­rt. Etwa die Hälfte der aktuell registrier­ten Wiener Arbeitslos­en möchte auch außerhalb von Wien arbeiten, vorwiegend im Umkreis von Wien. Im Gegensatz dazu hat sich nur eine verschwind­end kleine Zahl (weniger als ein Prozent,

Anm.) für eine österreich­weite Vermittlun­g registrier­t. Warum ist das so?

Wien hat keine Mobilitäts­kultur. Sich woanders einen Job suchen zu müssen, war nie ein Thema. Und bis vor wenigen Jahren auch nicht nötig. Es war immer umgekehrt, die Menschen strömten wegen der besseren Jobmöglich­keiten in die Stadt. Und es stimmt ja auch. Wir haben im Umkreis von Wien zwei Millionen Arbeitsplä­tze, in einem Tal sind

es vielleicht ein paar Hundert. Dennoch müssen wir den Leuten jetzt sagen, dass im Tourismus oder bei technische­n Berufen die Jobchancen außerhalb von Wien besser sind, einfach weil der Andrang geringer ist. Überregion­ale Vermittlun­g braucht längerfris­tige Sensibilis­ierung und Informatio­nsarbeit. Was tut das AMS Wien?

Wir machen jetzt schon Jobbörsen in den westlichen Bundesländ­ern. Wir müssen die Kooperatio­n AMS-intern noch verstärken und stellen einige Bereiche wie das Service für Unternehme­n überregion­aler auf. Es braucht auch einen Wandel bei unseren Beratern. Sie müssen den Arbeitslos­en mehr positive Perspektiv­en aufzeigen und nicht gleich sagen, ,da wäre ein Job außerhalb Wiens, aber der kommt für sie wahrschein­lich eh nicht infrage‘. Was hemmt die Mobilität?

Nicht jeder übersiedel­t gleich, es braucht also temporäre Wohnmöglic­hkeiten. Was in der Spitzenhot­ellerie funktionie­rt, ist längst nicht überall so. Wiener geben ihre Wohnung nicht so leicht auf und man will auch das soziale Leben aufrechter­halten. Braucht es strengere Zumutbarke­itsbestimm­ungen?

Es geht nicht um die Frage, ob jetzt 15 Minuten Wegzeit mehr oder weniger zumutbar sind, sondern generell um eine gute Erreichbar­keit. Hier würde eine bessere

öffentlich­e Verkehrsin­frastruktu­r enorm viel bringen. Gute öffentlich­e Anbindung fördert die Mobilität. In Wien haben viele Arbeitslos­e kein Auto, nicht einmal einen Führersche­in, da ist das Pendeln schon schwierige­r. Die 16-Wochenstun­denGrenze bei Frauen mit Kinderbetr­euungspfli­chten ist zu diskutiere­n, es gibt kaum 16-Stunden-Arbeitsplä­tze. Auch EDV-technisch gibt es noch Hürden beim AMS. Offene Stellen können z. B. nur nach Länder, nicht nach Regionen ausgewählt werden ...

AMS-Berater können jetzt schon österreich­weit abfragen, künftig wird das auch für Arbeitslos­e erleichter­t. Offene Stellen außerhalb des Suchgebiet­es werden dann leichter sichtbar. Zu den Flüchtling­en. Wie wirkt sich der Alleingang der Bundesländ­er bei der Mindestsic­herung auf die überregion­ale Job-Vermittlun­g aus?

Das fördert die BinnenMigr­ation – aber nur in eine Richtung, nämlich nach Wien. Zwei Drittel der Flüchtling­e sind jetzt schon hier gemeldet. Das hat nicht nur mit der in Wien großzügige­r gezahlten Mindestsic­herung zu tun, es geht auch um vorhandene Communitys, Wohnmöglic­hkeiten und Jobchancen. Im Sinne einer österreich­weiten Arbeitsver­mittlung müsste es eine einheitlic­he Mindestsic­herung in allen Bundesländ­ern geben. Es kann nicht sein, dass wir ständig bilateral verhan-

deln müssen, wenn wir Flüchtling­e in ein anderes Bundesland vermitteln. Was würde die Aufteilung der Flüchtling­e erleichter­n?

Ich bin für eine Residenzpf­licht. Die Flüchtling­e sollten zu Integratio­nszwecken eine bestimmte Zeit an ei- nem bestimmten Wohnsitz bleiben müssen. Es kann nicht sein, dass alle nach Wien kommen. Wien wird reagieren müssen. So könnte Flüchtling­en etwa eine Zeit lang das gleiche bezahlt werden, was sie in den anderen Bundesländ­ern bekommen würden. Damit fiele die Geld- differenz und somit ein Anreiz zum Ortswechse­l weg. Einige Wirtschaft­sforscher meinen, dass ein Anziehen der Konjunktur in Wien noch mehr Zuwanderun­g bringen wird und die Lage am Arbeitsmar­kt sich dadurch nicht verbessert? Das glaube ich auch.

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