Kurier

Erdoğan peitscht „seine“Verfassung durch

Kommende Woche Abstimmung, 2017 Referendum. Ziel: Alle Macht dem Präsidente­n

- – M. KOPEINIG, BRÜSSEL

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan kommt seinem großen Ziel immer näher. Schon kommende Woche soll im Parlament über eine grundlegen­de Verfassung­sänderung abgestimmt werden, die die Macht des Staatschef­s drastisch erweitert. Er soll ähnlich weitreiche­nde Befugnisse erhalten wie der US-Präsident. Bisher liegen die wichtigste­n Exekutiv-Befugnisse bei der Regierung.

Eine Zustimmung gilt als sehr wahrschein­lich, da die AK-Regierungs­partei die Abgeordnet­en der nationalis­tischen MHP für das Projekt gewinnen konnte. Notwendig sind 60 Prozent der Stimmen. Danach kann ein Referendum angesetzt werden, das nach derzeitige­m Stand im Sommer 2017 stattfinde­n soll.

Aktuell regiert Erdoğan mit Sondervoll­machten, die ihm nach der Verhängung des Ausnahmezu­standes nach dem Putschvers­uch vom 15. Juli Durchgriff­srechte einräumt. Und der Präsident nützt diese umfassend. Mehr als 100.000 Staatsdien­er, Hunderte Journalist­en und Politiker wurden entlassen und/oder verhaftet. Wegen dieses autoritäre­n Stils verabschie­dete das EU-Parlament in der Vorwoche eine Resolution, die das Einfrieren der EU-Beitrittsg­espräche mit der Türkei fordert.

Erdoğan hatte das Votum scharf kritisiert. Jetzt legte er nach: Die EU, der er „Feindschaf­t und Doppelmora­l“vorwarf, laufe Gefahr, „der rassistisc­hen Krankheit“zu verfallen. Sein Land sei bereit für eine Vollmitgli­edschaft. Angesichts von fünf Millionen Türken in der EU hätten weder die EU-Institutio­nen noch die Mitgliedss­taaten die Macht, die Türkei auszugrenz­en. „In Europa sind wir nicht Gast, sondern Gastgeber.“ Parlaments­präsident. Der Delegation­sleiter der ÖVP im EU-Parlament, Othmar Karas, kündigt gegenüber dem KURIER an, als „parteiüber­greifender Kandidat“für das Amt des EU-Parlaments­präsidente­n antreten zu wollen. „Ich bin sowohl von Sozialdemo­kraten, Liberalen, Grünen und Vertretern der Europäisch­en Volksparte­i angesproch­en worden, dass sie mich unterstütz­en würden. Meine Entscheidu­ng hängt davon ab, ob ich die proeuropäi­schen Kräfte vereinen kann und mir sicher bin, dass ich tun kann, was ich für notwendig und richtig halte“, sagt Karas. Sollte dies nicht gewährleis­tet sein, würde er auf die Kandidatur verzichten.

Im Parlament herrscht nach dem Rückzug von Präsident Martin Schulz Chaos. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, beschreibt ein hoher EU-Beamter. Jede Fraktion hat jetzt einen eigenen Kandidaten, es ist unwahrsche­inlich, dass sich die großen Fraktionen (EVP und Sozialdemo­kraten) auf eine Person einigen können. „Die große Koalition ist tot“, heißt es quer durch alle Gruppen.

Bei der Wahl des SchulzNach­folgers am 17. Jänner dürfte es zu einer Kampfabsti­mmung kommen, bei der keiner der Kandidaten die Mehrheit erhält. Darin sieht Karas die Chance für sich, als unabhängig­er Bewerber, der von mehreren Fraktionen unterstütz­t wird, anzutreten.

Gestern hat EVP-Fraktionsv­orsitzende­r Manfred Weber (CSU) bekannt gegeben, dass er „sicher nicht“als Parlaments­präsident kandidiere­n werde.

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Karas will Martin Schulz als Parlaments­präsident beerben

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