Es ist nicht wurst, wo Kunst ist
Die Zeitgenossen-Schau „Poetiken des Materials“wirkt seltsam deplatziert
Zeitgenössische Kunst und Museen: Kaum ein Thema wird in Österreichs Kulturszene so beharrlich diskutiert. Während die einen meinen, dass es gar nicht genügend Flächen geben kann, um das Schaffen lebender Künstlerinnen und Künstler zu präsentieren, argumentieren andere, dass Museen sich um das Gesammelte kümmern sollten und neuestes Kunstschaffen doch lieber in Galerien und Kunsthallen stattfinden soll.
Auf alle Argumente lässt sich mit „Ja, aber“antworten. Im Leopold Museum, wo sich die Schau „Poetiken des Materials“bis 30. Jänner anschickt, Touristen zu verwirren, geht der Einwand so: Ja, es ist eine gute Idee, das „Wien um 1900“-Image des Hauses mit aktuellen Querschüssen aufzufrischen. Aber die Ausstellung tut das nicht, weil sie sich der Interaktion mit dem Museum versagt.
„Poetiken des Materials“ist eine Ansammlung von sechs Einzel-Projekten. Die Beiträge reichen von Abgüssen aus rosa Beton (Anne Schneider) über Asphaltflächen (Sonia Leimer) bis zu einem aus Filz, Frottee und Leder gestickten Bild mit rätsel- haften Mustern (Benjamin Hirte). Jede Sektion würde zweifellos eine interessante Galerie-Ausstellung tragen.
Zäher Theorieleim
Das Museum aber will mehr: Es verspricht, eine aktuelle Kunsttendenz näherzubringen, nämlich den „Neuen Materialismus“, der die Aussagekraft von Materialien in den Mittelpunkt rückt.
Direktor Hans-Peter Wipplinger und Kuratorin Stephanie Damianitsch müssen im Katalog und in Wandtexten viel zähflüssigen Theorieleim auftragen, damit sich das ausgeht. Am Ende fragt man sich dennoch, warum es gerade jene sechs Projekte geworden sind: Dass Materialqualitäten – im Gegensatz etwa zu formalen Überlegungen – derzeit Konjunktur haben, lässt sich auch anderswo beobachten.
Im Leopold Museum werden nicht einmal die Räume den Arbeiten gerecht: Die Projekte stehen zwischen Stellwänden weder allein noch gemeinsam da, Bezüge zwischen ihnen gibt es nicht. Verbindungen der Werke zur Sammlung wirken reichlich konstruiert: Das Video von Christian Kosmas Mayer, in dem ein Performer durch die Schausammlung wandelt und auf Basis von Spielkarten und Kunstwerken Eselsbrücken erfindet, ist bestenfalls halb witzig. Der aus Text, Objekten und Museumswerken aufgebaute Parcours von Misha Stroj und Michael Hammerschmid wirkt in seiner Feingliedriedigkeit verloren.
Waren die gequälten Körper der Künstlerin Berlinde de Bruyckere, die zuletzt im Leopold Museum zu sehen waren, noch leicht in Bezug zu Schiele und dem Expressionismus zu setzen, hallt nun die Frage nach dem „Warum?“endlos nach.
Ja, warum? Weil sich eine Museumsausstellung in der Künstlerbiografie gut macht? Weil die Idee eben realisiert werden wollte?
Kunst in Isolationshaft
Wo gerade wieder einmal über eine Neuordnung des Museumswesens debattiert wird, darf man darauf verweisen, dass nicht alles überall funktioniert. Daraus abzuleiten, dass Museen nicht über ihre Tellerränder blicken sollten, wäre freilich fatal: Die Interaktion von Museen und zeitgenössischer Kunst ist nötig, um beide Systeme vor Isolation zu bewahren. Wenn Zeitgenössisches isoliert im Museum stattfindet, profitiert aber niemand.