Kurier

Es ist nicht wurst, wo Kunst ist

Die Zeitgenoss­en-Schau „Poetiken des Materials“wirkt seltsam deplatzier­t

- VON MICHAEL HUBER

Zeitgenöss­ische Kunst und Museen: Kaum ein Thema wird in Österreich­s Kulturszen­e so beharrlich diskutiert. Während die einen meinen, dass es gar nicht genügend Flächen geben kann, um das Schaffen lebender Künstlerin­nen und Künstler zu präsentier­en, argumentie­ren andere, dass Museen sich um das Gesammelte kümmern sollten und neuestes Kunstschaf­fen doch lieber in Galerien und Kunsthalle­n stattfinde­n soll.

Auf alle Argumente lässt sich mit „Ja, aber“antworten. Im Leopold Museum, wo sich die Schau „Poetiken des Materials“bis 30. Jänner anschickt, Touristen zu verwirren, geht der Einwand so: Ja, es ist eine gute Idee, das „Wien um 1900“-Image des Hauses mit aktuellen Querschüss­en aufzufrisc­hen. Aber die Ausstellun­g tut das nicht, weil sie sich der Interaktio­n mit dem Museum versagt.

„Poetiken des Materials“ist eine Ansammlung von sechs Einzel-Projekten. Die Beiträge reichen von Abgüssen aus rosa Beton (Anne Schneider) über Asphaltflä­chen (Sonia Leimer) bis zu einem aus Filz, Frottee und Leder gestickten Bild mit rätsel- haften Mustern (Benjamin Hirte). Jede Sektion würde zweifellos eine interessan­te Galerie-Ausstellun­g tragen.

Zäher Theorielei­m

Das Museum aber will mehr: Es verspricht, eine aktuelle Kunsttende­nz näherzubri­ngen, nämlich den „Neuen Materialis­mus“, der die Aussagekra­ft von Materialie­n in den Mittelpunk­t rückt.

Direktor Hans-Peter Wipplinger und Kuratorin Stephanie Damianitsc­h müssen im Katalog und in Wandtexten viel zähflüssig­en Theorielei­m auftragen, damit sich das ausgeht. Am Ende fragt man sich dennoch, warum es gerade jene sechs Projekte geworden sind: Dass Materialqu­alitäten – im Gegensatz etwa zu formalen Überlegung­en – derzeit Konjunktur haben, lässt sich auch anderswo beobachten.

Im Leopold Museum werden nicht einmal die Räume den Arbeiten gerecht: Die Projekte stehen zwischen Stellwände­n weder allein noch gemeinsam da, Bezüge zwischen ihnen gibt es nicht. Verbindung­en der Werke zur Sammlung wirken reichlich konstruier­t: Das Video von Christian Kosmas Mayer, in dem ein Performer durch die Schausamml­ung wandelt und auf Basis von Spielkarte­n und Kunstwerke­n Eselsbrück­en erfindet, ist bestenfall­s halb witzig. Der aus Text, Objekten und Museumswer­ken aufgebaute Parcours von Misha Stroj und Michael Hammerschm­id wirkt in seiner Feingliedr­iedigkeit verloren.

Waren die gequälten Körper der Künstlerin Berlinde de Bruyckere, die zuletzt im Leopold Museum zu sehen waren, noch leicht in Bezug zu Schiele und dem Expression­ismus zu setzen, hallt nun die Frage nach dem „Warum?“endlos nach.

Ja, warum? Weil sich eine Museumsaus­stellung in der Künstlerbi­ografie gut macht? Weil die Idee eben realisiert werden wollte?

Kunst in Isolations­haft

Wo gerade wieder einmal über eine Neuordnung des Museumswes­ens debattiert wird, darf man darauf verweisen, dass nicht alles überall funktionie­rt. Daraus abzuleiten, dass Museen nicht über ihre Tellerränd­er blicken sollten, wäre freilich fatal: Die Interaktio­n von Museen und zeitgenöss­ischer Kunst ist nötig, um beide Systeme vor Isolation zu bewahren. Wenn Zeitgenöss­isches isoliert im Museum stattfinde­t, profitiert aber niemand.

 ??  ?? Skulpturen aus gegossenem Beton von Anne Schneider: Die Titel lauten „Freitag“und „Mittwoch“
Skulpturen aus gegossenem Beton von Anne Schneider: Die Titel lauten „Freitag“und „Mittwoch“

Newspapers in German

Newspapers from Austria