Junge verlassen Italien
„Braindrain“. Und Matteo Renzi droht Flop bei Referendum
Schicksalstag für Italiens Premier Matteo Renzi. Bis zuletzt hat er heftig die Wahltrommel für seine Verfassungsreform gerührt, über die heute abgestimmt wird. Laut Umfragen liegt die NeinFront jedoch vorne. „Renzi hat den Fehler gemacht, das Referendum zu personalisieren und mit seinem Amtsverbleib zu verknüpfen“, sagt Politologe Christian Blasberg von der römischen Universität Luiss im KURIER-Gespräch. Inhaltliche Aspekte rückten zunehmend in den Hintergrund. Anfangs stieß die Reform, wonach nur noch eine der beiden Parlamentskammern in Rom für den Großteil der Gesetzgebung zuständig sein soll und die Kosten stark reduziert werden sollen, auf Zustimmung.
Nach anfänglicher RenziEuphorie wurde der 41-Jährige aus Florenz aber zunehmend unbeliebter. Das Referendum wird so zu einer Abstimmung über seine Regierung. Im Fall von Neuwahlen würde derzeit laut Umfragen die Fünf-Sterne-Protestpartei vorne liegen. Mit 30 Prozent der Stimmen könnte sie Renzis „Partito Democratico“ablösen. Mit Grillo wären ein Euro-Ausstieg – eines seiner Ziele – und in der Folge auch ein EU-Austritt denkbar. Das wäre dramatischer als der „Brexit“, da Italien nach Deutschland und Frankreich die drittgrößte Volkswirtschaft des Währungsraumes ist.
Vergleich mit FPÖ
Politisch sind die Fünf Sterne schwer einzuordnen. „Manche haben sie schon in eine Reihe mit der FPÖ oder dem Front National gestellt. Doch ein Teil der Anhänger kommt aus der enttäuschten Linken. Es gibt aber starke Element des Rechtspopulismus, Grillo hat sich nie klar von Faschismus oder der Lega Nord distanziert“, so Blasberg.
Die Gefahr eines Erdrutschsieges der Protestpartei wäre besonders groß, wenn als Überbrückung eine technische Regierung bis zu den Parlamentswahlen 2018 zum Einsatz käme. „Technische Re- gierungen sind, wie die Erfahrung mit dem Ökonomen Mario Monti (2011–2013) zeigt, meist sehr unbeliebt. Deren harte Maßnahmen gegen den ,kleinen Mann‘ werden von der Bevölkerung als von Brüssel oder Berlin diktiert empfunden“, analysiert Blasberg.
Rückenwind dürfte im Fall eines Nein-Votums auch die ausländerfeindliche Lega Nord spüren. Sie peilt an, zur stärksten Einzelpartei im Mitterechts-Lager aufzurücken und die seit Jahren kriselnde Forza Italia um Ex-Premier Silvio Berlusconi zu verdrängen. Lega-Nord-Chef Matteo Salvini, der von US-Präsident Donald Trump inspiriert ist, will für das Amt des Regierungschefs kandidieren. Eine Rückkehr Berlusconis an die Macht gilt als unwahrscheinlich. Seine Forza ist gespalten und der 80-jährige Ex-Premier nach einem Herzinfarkt gesundheitlich angeschlagen.
Ob Renzi wie angekündigt im Falle eines „Nein“zurücktritt oder komplett aus der Politik ausscheidet, ist offen. „Wenn Renzi weitermacht, dann allerdings geschwächt, und es wird nur einige Monate bis zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr oder Sommer 2017 halten. Er hätte dann Zeit, einige Fehler auszumerzen, es wäre ein letzter Aufruf an alle politischen Parteien, Reformen anzugehen“, schätzt Politologe Blasberg.