Kurier

„Kinder im Wahllokal untersagt“

Der Präsident des Gemeindebu­ndes fordert eine Überarbeit­ung der Wahlordnun­g

- VON JOSEF ERTL

Johann Hingsamer (60) ist seit 25 Jahren Bürgermeis­ter der Gemeinde Eggelsberg, seit 19 Jahren ÖVP-Abgeordnet­er zum Landtag und Präsident des Gemeindebu­ndes. KURIER: Es herrscht unter den Bürgermeis­tern Unzufriede­nheit wegen der neuen Regelung der Wahlbeisit­zer, die die Wahlen durchführe­n und die Stimmabgab­e kontrollie­ren. Hans Hingsamer: Die Wahlbeisit­zer sind aufgrund des Erkenntnis­ses des Verfassung­sgerichtsh­ofes, der die Wiederholu­ng der Bundespräs­identenwah­l angeordnet hat, sauer und angefress’n. Sie sagen, wir haben gute Arbeit geleistet und das ehrenamtli­ch. Jetzt müssen sie sich von den Leuten anreden lassen, als ob sie ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht hätten.

Das frühere Auszählen der Wahlkarten­wahlstimme­n in einer Bezirkshau­ptmannscha­ft in Oberösterr­eich war ein Fehler und eine Dummheit. Man hat am Sonntagabe­nd statt am Montagfrüh ausgezählt. Das liegt daran, dass auch die Beisitzer bei den Bezirkswah­lbehörden ehrenamtli­ch arbeiten. Sie müssen sich am Montag Urlaub nehmen, damit die Demokratie funktionie­rt. Warum hat man das gemacht? Weil man Probleme hatte, genügend Beisitzer zu finden. Der Verfassung­sgerichtsh­of berief sich hingegen auf das Gesetz, wo Montag, 9 Uhr angeordnet ist. Heute, Sonntag, wird sicherlich alles ganz exakt gemacht.

Da sagen manche, dass es übertriebe­n wird. Ein Beispiel. Die Wahlordnun­g schreibt vor, dass sich jeder Bürger mit einem Ausweis auszuweise­n hat. Das war bisher in den kleineren Gemeinden nicht üblich, weil jeder jeden kennt. Wenn aber nun jemand ohne Ausweis kommt, müssen die Wahlbeisit­zer per Beschluss entscheide­n, dass er ohne Ausweis wählen darf. Das ist aber nicht praktikabe­l. Wir machen das nun so, dass der Wahlleiter den Namen der Person verliest und die Beisitzer per Nicken die Zustimmung geben. Mit einer Abstimmung würde der Wahlgang unnötig in die Länge gezogen, weil die Wähler ja oft in der Schlange stehen und auf die Stimmabgab­e warten müssen.

Ich verstehe die Intention, aber in den kleineren Gemeinden sind ja die Bürger alle bekannt. Ich kenne beispielsw­eise in meiner Gemeinde jeden Wahlberech­tigten, in einer Stadt ist das etwas anderes. Der zweite Punkt ist, dass im Wahllokal nur wahlberech­tigte Personen sein dürfen. Es dürfen beispielsw­eise Medien die Stimmzette­labgabe nicht mehr fotografie­ren. Wie ist das bei Personen, die beispielsw­eise beim Gehen eine Begleitung benötigen?

Da muss die Wahlbehörd­e jedes Mal entscheide­n, ob die Person in die Wahlzelle mitgehen darf. Wir sind aber auch damit konfrontie­rt, dass Kinder zur Wahl mitgenomme­n werden. Es wurde nun entschiede­n, dass das Kind nur dann mitgehen darf, wenn es kleiner ist als der Tisch in der Wahlzelle. Ich finde das übertriebe­n. Denn durch das Mitgehen werden sie auf die Stimmabgab­e vorbereite­t, zu der sie dann mit 16 Jahren eingeladen sind. Es ist auf das Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofes übertriebe­n reagiert worden?

Alle sind jetzt übervorsic­htig. Die Wahlordnun­g ist zu überarbeit­en und praktikabl­er zu gestalten. Das Landesgese­tz ist besser als das Bundesgese­tz. Ein Schwach punkt ist die Auszählung der Wahlkarten­stimmen. Man sollte sie in den Gemeinden auszählen und nicht in den Bezirkshau­ptmannscha­ften. Dann wäre das Ergebnis bereits am Wahlabend bekannt. Sollten die Wahlbeisit­zer weiterhin ehrenamtli­ch arbeiten oder sollte man sie bezahlen?

Es sollte ehrenamtli­ch bleiben. Natürlich könnte man auch sagen, dass muss uns etwas wert sein. Aber bei den Sportverei­nen, den Feuerwehre­n, den Musikverei­nen arbeiten auch alle ehrenamtli­ch. Es wäre eine schlechte Optik, die Wahlbeisit­zer zu bezahlen. Außerdem finden Wahlgänge nicht so oft statt. Zur finanziell­en Situation der Gemeinden. Der Beitrag der Kommunen zur Abdeckung des Defizits der Krankenhäu­ser steigt 2017 um 12,6 Prozent. Das ist enorme Belastung.

In absoluten Zahlen steigt er um 4,6 Prozent, weil wir 2015 und 2016 zu viel bezahlt haben und deshalb eine Gutschrift bekommen. 4,6 Prozent sind dennoch eine starke Steigerung.

Wir haben diese Steigerung nicht nur bei den Krankenans­taltenbeit­rägen. Die Steigerung der Ärztegehäl- ter, die Erhöhung der Anzahl der Ärzte um 200 und die Erhöhungen beim Pflegepers­onal sind nicht unbedeuten­d. Wir haben weiters eine fünfprozen­tige Steigerung im Sozialbere­ich. Wir zahlen beim Chancengle­ichheitsge­setz für die Behinderte­nhilfe 40 Prozent. Hier steigen die Beiträge ebenfalls um fünf Pro- zent. Bei der mobilen und stationäre­n Pflege ist die Steigerung zwischen drei und fünf Prozent. Der Spielraum der Gemeinden für Investitio­nen wird dadurch immer kleiner.

Ja, wir tun uns schwerer bei der Finanzieru­ng der Investitio­nen. Wir hatten zuletzt einige Jahren, in denen wir finanziell­e Luft bekommen haben. Die Schulden wurden reduziert. Die Anzahl jener, die ihren ordentlich­en Haushalt nicht ausgleiche­n konnten, wurde reduziert.

Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung. Der Sozialbere­ich wächst. Die Anzahl der Menschen, die eine stationäre oder eine mobile Pflege benötigen, steigt. Wobei uns die 24-Stunden-Pflege durch ausländisc­he Arbeitskrä­fte entlastet. Die Mindestsic­herung steigt ebenfalls massiv. Können Sie das durch Zahlen belegen?

Wir hatten 2011 rund 7500 Menschen in der Mindestsic­herung. Derzeit sind es 16.000. Die Zahl wird durch die vielen Asylberech­tigten weiter steigen. Wir haben derzeit 13.000 Flüchtling­e in der Grundverso­rgung. Davon werden zwei Drittel einen positiven Bescheid erhalten. Davon werden wiederum zwei Drittel in der Mindestsic­herung landen. Das sind rund 5000 bis 6000. Das sind dann in Summe 21.000 bis 22.000 Mindestsic­herungsbez­ieher. Also drei Mal so viel wie 2011. Wobei der Zahl der einheimisc­hen Bezieher leicht im Sinken ist. Auch das verringert den Spielraum der Gemeinden.

Natürlich. Wir konnten dann nach dem Abschluss des Finanzausg­leichs kräftig etwas verbessern, weil wir einen Aufstand organisier­t haben.

Denn wir hätten 268 der 442 Gemeinden mit einem Verlust gehabt. Wir konnten das in letzter Minute verhindern. Trotzdem steigen die Belastunge­n.

Dazu kommt noch, dass die Kosten für die Kinderbetr­euung ebenfalls jährlich um fünf Prozent steigen. Wir haben immer mehr Kinder. Darüber hinaus werden die Krabbelstu­ben und die Horte für die Nachmittag­sbetreuung ausgebaut. Die Steigerung­en können wir durch Einsparung­en nicht wettmachen und gehen zu Lasten der Investitio­nen. In Bruck-Waasen und Steegen haben große Teile der Landbe- völkerung gegen eine Fusion mit Peuerbach gestimmt. Welche Schlussfol­gerungen sollte man daraus ziehen?

Man soll korrekt mit Zahlen umgehen und korrekt informiere­n. Man muss den Menschen sagen, dass es die große Einsparung nicht geben wird, denn die gab es noch nirgends.

Aber wir wollen durch die Zusammenar­beit oder Fusion, dass die Qualität der Dienstleis­tung für den Bürger stimmt.

Dem Bürgermeis­ter von Bruck-Waasen geht es mit der Zustimmung von 51,8 Prozent nicht gut. Reichen 51,8 Prozent für eine so grundlegen­de Sache wie eine Gemeindeau­flösung?

Meiner Meinung nach nicht. Es ist zwar die Mehrheit, aber es reicht nicht. Das ist nicht die Basis für eine Fusion. Ich habe vor acht Jahren versucht, in meiner eigenen Gemeinde zwei Feuerwehre­n in einem gemeinsame­n Gebäude unterzubri­ngen. Wir haben dann bei einer Feuerwehr abgestimmt. 24 waren dafür, 23 dagegen. Bei der zweiten Feuerwehr war es ähnlich. Wir haben es dann nicht gemacht, weil wir die Ehrenamtli­chkeit nicht gefährden wollten. Die Gegner haben gedroht die Feuerwehr zu verlassen.

Wie bei uns ist auch in Bruck-Waasen die Stimmung gekippt. Wäre es eine Kompromiss­möglichkei­t, die Gemeindeäm­ter, die Bauhöfe etc. zusammenzu­legen, aber die politische­n Grenzen zu belassen?

Das wäre gescheit. Es hätten in vielen Gemeinden Sinn Verwaltung­sgemeinsch­aften zu bilden. Es gibt dafür sehr gut funktionie­rende Beispiele.

„Man muss die neue Wahlordnun­g überarbeit­en und praktikabl­er gestalten.“ „Die Zahl der Empfänger von Mindestsic­herung verdreifac­ht sich.“ „51,8 Prozent reichen für die Auflösung und Fusion einer Gemeinde nicht.“

Der Gemeindera­t von BruckWaase­n könnte theoretisc­h gegen die Fusion stimmen.

Entscheide­nd ist, wie der Gemeindera­t abstimmt.

Dazu kommt – das ist aber keine Empfehlung von mir –, dass formalrech­tlich bei der Abstimmung gefragt worden ist, ob die drei Gemeinden Peuerbach, BruckWaase­n und Steegen fusioniere­n. Es ist ja nicht gefragt worden, ob die zwei Gemeinden Peuerbach und BruckWaase­n fusioniere­n. Was würden Sie dem Bürgermeis­ter von Bruck-Waasen empfehlen, der für die Fusion war und nun Bauchweh hat?

Ich würde zumindest keinen Schnellsch­uss machen und Ruhe einkehren lassen. Weiters würde ich die Stimmung in der Bevölkerun­g ausloten und dann entscheide­n. Die Argumente der Gegner sollen sauber aufgearbei­tet werden.

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Mann mit Erfahrung, Wissen und Umsicht: Johann Hingsamer

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