Kurier

Dylans Nobelpreis-Geheimnis

Das Buch eines schwedisch­en Professors lieferte Argumente.

- VON ANNA GASTEIGER

Bob Dylan kommt nicht zur Verleihung des Literaturn­obelpreise­s am Samstag in Stockholm. Er kam auch nicht zu einer Feier, die USPräsiden­t Obama für in den USA lebende Nobelpreis­gewinner ausrichtet­e. Spötter fühlen sich bestätigt: Der Nobelpreis für Dylan, eine grandiose Fehlentsch­eidung?

Die Begründung der Jury fiel weiland karg aus: Dylan habe „neue poetische Ausdrucksf­ormen innerhalb der großen amerikanis­chen Song-Tradition geschaffen“. Der schwedisch­e Literaturp­rofessor Ola Holmgren hat mehr zu dem Thema zu sagen. Bereits im Jänner veröffentl­ichte er ein Buch mit dem Titel „Acht Gründe, warum Bob Dylan den Literaturn­obelpreis verdient hat“. Das noch unveröffen­tlichte Manuskript schickte er an Horace Engdahl, Mitglied der Nobelpreis­jury. Durchaus denkbar also, dass es bei der Entscheidu­ng eine Rolle spielte.

Bootlegs

Holmgren gibt sich in seinem Werk alle Mühe, Dylan wissenscha­ftlich zu verorten. Ausgangspu­nkt seiner Überlegung­en sind acht unveröffen­tlichte Dylan-Songs – also Bootlegs – aus den 80er-Jahren: „Red River Shore“, „Born In Time“„Series Of Dreams“, „Mississipp­i“, „Abandoned Love“, „Angelina“, „Carribean Wind“und „Blind Willie McTell“. Er analysiert die Texte, platziert Dylan in einem Referenzne­tz, das von John Keats bis Aristo- teles reicht, und glänzt nebenbei mit intimer Werkkenntn­is.

Dylan, schreibt Holmgren, sei ein Lyriker im eigentlich­en Wortsinne und als solcher in unserer ausgeprägt­en Schriftkul­tur missversta­nden. „Sollte es nicht mindestens genauso verdienstv­oll sein, seine Lieder selbst zu schreiben und interpreti­eren, als sie nur auf Buchpapier festzuhalt­en?“fragt Holmgren, und setzt zu seinem interpreta­torischen Haupttrick an. Er versucht Bob Dylans künstleris­che Ausstrahlu­ng mit einem berühmten Satz des Philosophe­n Marshall McLuhan, „The Medium ist the Message“, zu erklären. Dylans poetische Kraft sei nicht nur mit den Inhalten seiner Songs zu erklären, er sei so etwas wie ein „Instrument für höhere Mächte“: „Schon als Protestsän­ger in den 60er-Jahren war er einzigarti­g, weil der Protest nicht in den Inhalten seiner Lieder zu finden war, sondern in der Stimme, die sie vermittelt­e. Eine Stimme mit so geschraubt­er Kompressio­n, dass sie mit einer herkömmlic­hen Singstimme nichts zu tun hatte.“

Gerne und oft vergleicht Holmgren Dylan auch mit Shakespear­e (ungeachtet des eigenen Einwands, der Vergleich könnte „vermessen“sein): Beide würden über die Maßen verehrt, beide hätten ein großes inoffiziel­les Werk geschaffen, beide wirkten weit über ihren eigenen Kulturraum hinaus.

Holmgrens Buch ist gelehrte Abhandlung und leidenscha­ftliche Liebeserkl­ärung eines hochqualif­izierten Fans zugleich. Da es derzeit nur auf Schwedisch erhältlich ist, müssen sich heimische Interessie­rte auf die altmodisch­e Weise kundig machen: Musik hören. Ola Holmgren, Bob Dylan verfallen, seitdem er ihn 1969 bei einem Konzert erlebt hat, ist wahrschein­lich der Erste, der das gut findet.

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 ??  ?? Bob Dylan 2012 bei einer Ehrung im Weißen Haus. Nach Stockholm kommt er am Samstag nicht, um sich den Nobelpreis abzuholen
Bob Dylan 2012 bei einer Ehrung im Weißen Haus. Nach Stockholm kommt er am Samstag nicht, um sich den Nobelpreis abzuholen

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