Aller Anfang war schwarz: eine lange bunte Geschichte
Schwarz steht für Tod, Schuld, Angst und Teufel; aber auch für Bescheidenheit, Macht, Enthaltsamkeit und Eleganz: Keine andere Farbe ist so widersprüchlich. Darin liegt ihre Faszination
Als Maximilian von Habsburg 1477 Maria von Burgund heiratete, brachte die nicht nur das reiche Erbe ihres Vaters mit in unser Breiten, sondern auch die Lieblingsfarbe ihres Großvaters: Philipp der Gute, Herzog von Burgund, hatte schon 1420 als junger Prinz eine Vorliebe für Schwarz und behielt sie ein Leben lang bei. Damals entwickelte sich Schwarz zur Modefarbe. Von Italien ausgehend hüllten sich erst Kaufleute, später auch vornehme Patrizier darin ein. Wie es dazu kam, erzählt Michel Pastoureau in seinem viel gelobten Buch Schwarz. Geschichte einer Farbe (Verlag Philipp von Zabern, 39,95€), das jetzt endlich auch auf Deutsch vorliegt.
Um die Beziehungen zwischen Farben und Gesellschaft zu untersuchen, taucht der Historiker von der Sorbonne tief in Geschichte und Geschichten ein. Zum Beispiel in die, warum sich fast ganz Europa zwischen 1400 und 1650 in Dunkel hüllte: Aufgrund des damals herrschenden Kleidercodex war den wohlhabenden Kaufleuten trotz all ihres Geldes das Tragen von prächtigem Rot oder leuchtendem Blau untersagt, schreibt er. „Vielleicht aus Trotz kleideten sie sich immer entschiedener in Schwarz.“Und bald hatte das, was einst als trist und wertlos galt, selbst die höchsten Gesellschaftsschichten erobert.
„Das prunkvolle und fürstliche Schwarz ist in höfischen Kreisen begehrt, besonders am Hof der Burgunder des 15. Jahrhunderts und am spanischen Hof des 16. Jahrhunderts“. Bei Pastoureau wird der Aufstieg des Puritanismus und des Protestantismus zumFarbenkrieg gegen lebendige Farben, in dem letztlich Schwarz gewinnt: „Mit Beginn der 1530er-Jahre ist strenges, moralisches Schwarz im ganzen protestantischen Europa in Mode – ein guter protestantischer Bürger muss grelle Farben vermeiden und sich in Schwarz oder dunkel kleiden.“
Schwarzer Tod
Die Wurzeln vermutet der Historiker in der PestEpidemie, bei der Europa zwischen 1346 und 1350 ein Drittel seiner Bevölkerung einbüßte. Die meisten dachten, der „Schwarze Tod“sei eine Strafe Gottes gewesen. Schwar- ze Kleidung wäre das Zeichen glühender kollektiver Reue gewesen.
Wahrscheinlich ist es die Widersprüchlichkeit, die die Lieblingsfarbe von Priestern und Büßern, Künstlern und Asketen, Designern und Faschisten so faszinierend macht: Sie steht für Autorität und Demut, Sünde und Heiligkeit, Rebellion und Konformität, Reichtum und Armut, gut und schlecht. „In westlichen Gesellschaften sind alle Farben mit positiven und negativen Aspekten besetzt. Sie selbst haben keine Bedeutung. Erst der Kontext verleiht ihnen einen Sinn. Schwarz ist da perfekt ausgeglichen: der Tod, die Nacht, die Schuld, die Angst, der Teufel auf der einen Seite – die Bescheidenheit, die Enthaltsamkeit, die Macht, die Eleganz auf der anderen“, sagt Pastoureau, der selbst „ein besonderes Verhältnis zu Schwarz hat: Als dicker Mann kleide ich mich oft in Schwarz, um schlanker auszusehen. Außerdem finde ich, dass es eine Farbe ist, die die Schönheit einer Frau hervorhebt.“
„Am Anfang war Schwarz“, erinnert er. „In den Sagen überall auf der Erde findet sich dieses urzeitliche Schwarz, und oft
ist es dort lebenspendend und schöpferisch.“Nicht umsonst sind die ältesten Kultplätze der Menschheit stockfinstere Höhlen, in denen unsere Vorfahren mit schwarzem Pigment Jagdwild an die Wände malten. Wer dem Autor der Farbe Schwarz schon die längste Zeit zurufen möchte: „Aber Schwarz ist doch keine Farbe“, sei beruhigt. Selbstverständlich hat Pastoureau Isaac Newton und dessen Entdeckung des Lichtspektrums ein ganzes Kapitel gewidmet: Newton revolutionierte um 1665 die Weltordnung der Farben, als er Licht in Spektralfarben zerlegte, in deren Mitte weder Weiß noch Schwarz eine Daseinsberechtigung hatten. Fast drei Jahrzehnte lang galten sie als Nichtfarben. Erst ab
1910 gaben Künstler ihnen ihren Stellenwert als vollwertige Farbe zurück, meint Pastoureau.
Am neuzeitlichen Schwarz-Siegeszug waren, weiß der Historiker, protestantische Familien maßgeblich beteiligt: Das Großkapital beidseits des Atlantiks war in ihren Händen, sie trieben die Produktion von Alltagsgegenständen voran – die monotone Farbgebung der ersten Massenkonsumgüter inklusive: Zwischen 1860 und 1920 waren Haushalts- und Schreibgeräte, Telefone, Fotoapparate und Autos nur in Schwarz, Weiß und eventuell Grau und Braun erhältlich. Und das, obwohl die chemische Industrie längst so gut wie jede Farbe herstellen konnte – „all die leuchtenden Töne wurden der protestantischen Ethik geop- fert“, schreibt Pastoureau. Prominentestes farbenscheues Beispiel war Henry Ford: Der Puritaner weigerte sich zeitlebens, etwas anderes als schwarze Autos zu produzieren.
Apropos Puritaner: Zwischen 1915 und 1920 kontrollierte dasselbe puritanische Großkapital auch die Filmproduktion. Folge: Dem Publikum Spielfilme in Farbe vorzuführen – technisch seit 1915 kein Problem –, empfand man definitiv als obszön. Weshalb es weitere zwei Jahrzehnte dauerte, bis Farbe ins Kino Einzug hielt.
Wer jetzt noch gerne wissen möchte, wer – schwarze Trauerkleidung erfunden hat, – und ob Teufel und Kram
pus tatsächlich einmal bunte Gesellen waren, sei ebenfalls an Pastoureau verwiesen. Der weiß natür- lich auch, dass dem erzkonservativen Schwarz der Kirche das rebellische der Anarchisten gegenübersteht: Um 1880 erkoren Letztere die schwarze Flagge als Sinnbild der Verzweiflung. Wen wundert es da, dass der SchwarzExperte gesteht: „Es ist doch eine Farbe, die mir ein wenig Angst macht.“ P.S. Die französische Königin Anne de Bretagne trauerte um 1500 als Erste in Schwarz. Davor hüllten sich Könige im Trauerfall in Violett, Königinnen in Weiß. Und Teufel wurden tatsächlich einmal blau, dann wieder grün oder rot dargestellt. Um das Jahr 1000 und mehrere Jahrhunderte später sind sie aber immer und überall schwarz.