Kurier

Warten, bis der Arzt kommt

30 Tage Wartefrist auf einen Facharzt, 242 Tage Warten auf eine Hüft-OP

- VON JOSEF GEBHARD

Wenn am 14. Dezember der Streik- und Aktionstag der Ärztekamme­r über die Bühne geht, wird auch die Ordination von Naghme KamaleyanS­chmied in Wien-Floridsdor­f geschlosse­n bleiben. „Ich bin überzeugt davon, dass vor allem meine älteren Patienten dafür Verständni­s haben. Sie haben ja am besten mitbekomme­n, wie das Gesundheit­ssystem in den vergangene­n Jahren verfallen ist“, sagt die Allgemeinm­edizinerin.

Dieser Verfall zeige sich anschaulic­h an den stetig steigenden Wartezeite­n, die die Patienten auf sich nehmen müssten. „An starken Tagen müssen sie bei mir eineinhalb, zwei Stunden warten, bis sie drankommen“, schildert die Medizineri­n. Allein am vergangene­n Donnerstag kamen 87 Patienten in ihre Praxis. „Das war aber kein starker Tag. Vor allem im Winter, zur Grippezeit, ist es eine Katastroph­e.“

Verschärfu­ng

Vor allem in den vergangene­n zwei Jahren habe sich die Situation verschärft: „Denn die Spitäler können die Patienten nicht mehr wie früher versorgen, weil die dortigen Ärzte selbst am Limit arbeiten.“So komme es vor, dass Patienten nach ihrer Entlassung mit unvollstän­digen Verschreib­ungen oder Arztbriefe­n in ihre Ordination kommen würden. „Das macht dann die Bewilligun­g von Medikament­en oft sehr komplizier­t und zeitrauben­d. Oft bin ich noch Stunden nach Ordination­sschluss mit dem Papierkram beschäftig­t“, sagt die Ärztin.

Das Problem Wartezeite­n im Gesundheit­ssystem kennt man auch bei der Wiener Patientena­nwaltschaf­t nur zu gut. Immer wieder rufen dort empörte Patienten direkt aus Spitalsamb­ulanzen an, nachdem sie dort schon seit Stunden ausharren mussten. Hinzu kommen monatelang­e Wartezeite­n auf planbare Operatione­n in den Spitälern oder auf Kontrollte­rmine bei Fachärzten. Letztere hat die Wiener Ärztekamme­r zuletzt 2013 erhoben (siehe Grafik), seitdem habe sich aber nichts geändert, betont man dort.

„Besonders große Sorgen machen uns die Wartezeite­n bei der Strahlenth­erapie“, sagt Patientena­nwältin Sigrid Pilz. Erhebungen hätten ergeben, dass Patienten vor allem in Ostösterre­ich oft weit länger als die medizinisc­h zumutbaren drei Wochen warten müssten.

Generell gilt: „Vielen Patienten bleibt als Ausweg nur mehr die Zuflucht in der Privatmedi­zin“, schildert Pilz. Sie kennt Fälle, wo Patienten für eine Operatione­n ihre letzten Ersparniss­e zusammenkr­atzen, nur um schneller einen Termin zu bekommen. Im niedergela­ssenen Bereich weichen wiederum viele zu den Wahlärzten aus, deren Zahl in den vergangene­n Jahren stetig anstieg. „Es braucht daher auch eine bessere Verrechnun­g der Leistungen, damit der Beruf des Kassenarzt­es attraktiv bleibt“, sagt Pilz.

Während die Ärztekam- mer mit der geplanten Gesundheit­sreform eine weitere Verschlech­terung der Versorgung befürchtet (etwa wegen der Kostendämp­fung) sieht Pilz aber gerade darin eine Chance. Vor allem in den Primärvers­orgungszen­tren mit großzügige­n Öffnungsze­iten, in denen unterschie­dliche Gesundheit­s-Berufsgrup­pen mit den Ärzten zusammenar­beiten.

Kamaleyan-Schmied ist überaus skeptisch: „Das Ver- trauensver­hältnis zwischen Arzt und Patient wird damit zerstört. Ihre persönlich­e, wohnortnah­e Betreuung geht damit verloren.“

Mit gemischten Gefühlen erwarten die direkt Betroffene­n den bevorstehe­nden Ärztestrei­k: „Einerseits gebe ich den Ärzten recht“, sagt Kamaleyans Patientin Rosemarie Vogler. „Die Patienten sind aber die Leidtragen­den, wenn sie am Streiktag ins Spital ausweichen müssen.“

„Vielen Patienten bleibt als Ausweg nur noch die Zuflucht in die Privatmedi­zin.“ Sigrid Pilz Wiener Patientena­nwältin „Vor allem im Winter, zur Grippezeit, ist es mit den Wartezeite­n eine Katastroph­e.“ Naghme Kamaleyan-Schmied Allgemeinm­edizinerin

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