Warten, bis der Arzt kommt
30 Tage Wartefrist auf einen Facharzt, 242 Tage Warten auf eine Hüft-OP
Wenn am 14. Dezember der Streik- und Aktionstag der Ärztekammer über die Bühne geht, wird auch die Ordination von Naghme KamaleyanSchmied in Wien-Floridsdorf geschlossen bleiben. „Ich bin überzeugt davon, dass vor allem meine älteren Patienten dafür Verständnis haben. Sie haben ja am besten mitbekommen, wie das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren verfallen ist“, sagt die Allgemeinmedizinerin.
Dieser Verfall zeige sich anschaulich an den stetig steigenden Wartezeiten, die die Patienten auf sich nehmen müssten. „An starken Tagen müssen sie bei mir eineinhalb, zwei Stunden warten, bis sie drankommen“, schildert die Medizinerin. Allein am vergangenen Donnerstag kamen 87 Patienten in ihre Praxis. „Das war aber kein starker Tag. Vor allem im Winter, zur Grippezeit, ist es eine Katastrophe.“
Verschärfung
Vor allem in den vergangenen zwei Jahren habe sich die Situation verschärft: „Denn die Spitäler können die Patienten nicht mehr wie früher versorgen, weil die dortigen Ärzte selbst am Limit arbeiten.“So komme es vor, dass Patienten nach ihrer Entlassung mit unvollständigen Verschreibungen oder Arztbriefen in ihre Ordination kommen würden. „Das macht dann die Bewilligung von Medikamenten oft sehr kompliziert und zeitraubend. Oft bin ich noch Stunden nach Ordinationsschluss mit dem Papierkram beschäftigt“, sagt die Ärztin.
Das Problem Wartezeiten im Gesundheitssystem kennt man auch bei der Wiener Patientenanwaltschaft nur zu gut. Immer wieder rufen dort empörte Patienten direkt aus Spitalsambulanzen an, nachdem sie dort schon seit Stunden ausharren mussten. Hinzu kommen monatelange Wartezeiten auf planbare Operationen in den Spitälern oder auf Kontrolltermine bei Fachärzten. Letztere hat die Wiener Ärztekammer zuletzt 2013 erhoben (siehe Grafik), seitdem habe sich aber nichts geändert, betont man dort.
„Besonders große Sorgen machen uns die Wartezeiten bei der Strahlentherapie“, sagt Patientenanwältin Sigrid Pilz. Erhebungen hätten ergeben, dass Patienten vor allem in Ostösterreich oft weit länger als die medizinisch zumutbaren drei Wochen warten müssten.
Generell gilt: „Vielen Patienten bleibt als Ausweg nur mehr die Zuflucht in der Privatmedizin“, schildert Pilz. Sie kennt Fälle, wo Patienten für eine Operationen ihre letzten Ersparnisse zusammenkratzen, nur um schneller einen Termin zu bekommen. Im niedergelassenen Bereich weichen wiederum viele zu den Wahlärzten aus, deren Zahl in den vergangenen Jahren stetig anstieg. „Es braucht daher auch eine bessere Verrechnung der Leistungen, damit der Beruf des Kassenarztes attraktiv bleibt“, sagt Pilz.
Während die Ärztekam- mer mit der geplanten Gesundheitsreform eine weitere Verschlechterung der Versorgung befürchtet (etwa wegen der Kostendämpfung) sieht Pilz aber gerade darin eine Chance. Vor allem in den Primärversorgungszentren mit großzügigen Öffnungszeiten, in denen unterschiedliche Gesundheits-Berufsgruppen mit den Ärzten zusammenarbeiten.
Kamaleyan-Schmied ist überaus skeptisch: „Das Ver- trauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wird damit zerstört. Ihre persönliche, wohnortnahe Betreuung geht damit verloren.“
Mit gemischten Gefühlen erwarten die direkt Betroffenen den bevorstehenden Ärztestreik: „Einerseits gebe ich den Ärzten recht“, sagt Kamaleyans Patientin Rosemarie Vogler. „Die Patienten sind aber die Leidtragenden, wenn sie am Streiktag ins Spital ausweichen müssen.“
„Vielen Patienten bleibt als Ausweg nur noch die Zuflucht in die Privatmedizin.“ Sigrid Pilz Wiener Patientenanwältin „Vor allem im Winter, zur Grippezeit, ist es mit den Wartezeiten eine Katastrophe.“ Naghme Kamaleyan-Schmied Allgemeinmedizinerin