Kurier

Und jetzt Neuwahl? Ein Selbstmord-Attentat

Österreich darf nicht endgültig vertrumpen. Sieben Lehren aus einem quälenden Jahr Dauer-Wahlkampf.

- JOSEF VOTZI email an: josef.votzi@kurier.at auf Twitter folgen: @JosefVotzi

Kurz vorm Zieleinlau­f gab sich der 72-jährige Titelverte­idiger überrasche­nd angriffig. Der Herausford­erer packte aber den Bihänder aus – für einen einmalig aggressive­n Schlagabta­usch im letzten TV-Duell zur Hof burg-Wahl. Einen derart langen Wahlkampf und ein derart brutales Finale hat das Land noch nie erlebt. Wer auch immer am 26. Jänner 2017 in die Hof burg einziehen wird, zurück bleibt ein politische­r Scherbenha­ufen. Der heutige Wahlsonnta­g und die kommenden Advent- und Feiertage geben allen Beteiligte­n die Chance, einmal durchzuatm­en.

Danach sollten alle Gutwillige­n die Ärmel auf krempeln, um den Schutt gemeinsam aufzuarbei­ten. Denn dieser Wahlkampf hinterläss­t ein anderes Land.

Lektion 1: Die Vertrumpun­g der Politik ist dabei, auch in Österreich die Sitten endgültig zu versauen. Aggression statt Argumente; Emotion statt Intellekt; Übereinand­er herfallen statt miteinande­r reden.

Lektion 2: Die sogenannte­n sozialen Medien verkommen zu asozialen Medien – und zum Brandbesch­leuniger beim Abfackeln jeder zivilisier­ten Debatte. Facebook darf nicht mehr ungestraft zum Fakebook werden. Die Anarchie im Netz braucht Regeln: Beleidigen und Lügen muss wie in allen anderen Medien unter Strafe gestellt werden.

Lektion 3: Die profession­ellen Medien müssen mehr denn je eisern ihren Job machen: Überall dabei sein, aber nirgendwo dazugehöre­n. Sonst landen auch die Medienmach­er in der Establishm­ent-Falle.

Lektion 4: Es bleibt eine Farce, wird aber zunehmen: Der Milliardär Donald Trump kann sich ungehinder­t zum Anti-Establishm­ent-Hero ausrufen. Es bleibt absurd, ist aber Realität: Der Ex-Chef einer Bürgerschr­eck-Partei wie den Grünen wird zunehmend erfolgreic­h zum Paten der „Hautevolee“umgefärbt; der Nationalra­tspräsiden­t einer Honoratior­en-Partei wie der FPÖ schwingt sich zunehmend erfolgreic­h zum Rächer des kleinen Mannes auf.

Lektion 5: Der Nährboden für die Austro-Trumps von morgen wird im Regierungs­viertel zwischen Ballhauspl­atz, Parlament und Rathaus gelegt. Will die Politik aus diesem Teufelskre­is ausbrechen, muss sie sich zuallerers­t aus der obsessiven Beschäftig­ung mit sich selbst lösen und sich stattdesse­n wieder offensiv den Alltagssor­gen der Wähler zuwenden.

Lektion 6: Die Person ist bald alles; die Parteien bald nichts. Eine scheinbare Außenseite­rin wie Irmgard Griss mischte schon den ersten Hof burg-Wahlgang auf. Fortsetzun­g folgt spätestens bei der Nationalra­tswahl.

Lektion 7: Bislang galt die Faustregel: Bestraft wird der Auslöser von Neuwahlen. Derjenige, der sich als konstrukti­ver Partner einer gescheiter­ten Koalitions­ehe verkaufen kann, hat gute Chancen, besser abzuschnei­den. Am Ende des Endlos-Wahljahrs 2016 hat weder Rot noch Schwarz dabei etwas zu gewinnen: Wer immer das Koalitions­bündnis auf kündigt, sollte sich vorsorglic­h Trost und Rat bei Rudolf Hundstorfe­r und Andreas Khol holen. Wer nach dem quälenden Hof burg-Marathon mit Neuwahlen zündelt, hat etwas von einem Selbstmord-Attentäter.

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