Pressefreiheit
Menschenrecht. Vor 250 Jahren führte Schweden in einem Europa der Zensur die Pressefreiheit ein. Heute ist sie in vielen Ländern eine Selbstverständlichkeit, an der aber gerade gesägt wird
Würde ich in Ankara sitzen und Sie Ihre Zeitung bei einem türkischen Kaffee statt einer Melange lesen, gäbe es diese Zeilen nicht. Im Einflussgebiet des türkischen Präsidenten Erdoğan Zahlen über Inhaftierungen oder kritische Hintergründe zu schreiben, ist momentan undenkbar. Bei uns darf sogar öffentlich über Höchstgerichtsurteile diskutiert werden. Zumindest, seit es die Pressefreiheit gibt – in Österreich erst seit 1945.
Vor 250 Jahren wurde sie erstmals in einer Landesverfassung festgeschrieben, in Schweden. Damals, 1766, sehen sich Europas Regenten als von Gott gesandt. Gleichzeitig fordern Humanisten Gleichheit der Menschen, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Freiheit des Einzelnen. Auch der Finne Anders Chydenius ist ein Kind dieser geistigen Schule. Als Vertreter der Priester sitzt er im Parlament in Stockholm. Dorthin haben ihn die Menschen seiner Heimat Österbotten gewählt – Finnland ist Teil des schwedischen Königreichs. Chydenius soll Probleme lösen, die sich von unseren wenig unterscheiden: Reiche werden reicher, für einfache Menschen wird das Leben schwieriger. Der Priester ist für freie Märkte und für die Freiheit der Presse und Meinung. Wie es ihm gelingt, den König zu überzeugen, ist nicht überliefert. Adolf Fredrik unterschreibt am 2. Dezember 1766 die „tryckfrihetsförordningen“, das Gesetz über die Pressefreiheit, auf das die Skandinavier bis heute stolz sind. Obwohl es nicht lange währt. Denn was Revolutionäre 1789 in Frankreich schafften, fürchtet auch der König im Norden. Schnell ist es vorbei mit der freien Presse. Es sollte noch dauern, bis sie sich durchsetzt.
Heute wird Pressefreiheit als selbstverständlich angesehen, kritisiert Rubina Möhring, Präsidentin von Reporter ohne Gren
zen ( ROG). „Das sind Begriffe und Menschenrechte, die gepflegt werden müssen. Wenn man sie als selbstverständlich nimmt, werden sie nicht mehr wirksam.“Auch bei uns. Etwa, als die Ermittler im Prozess gegen den TV-Reporter Ed Moschitz verlangten, das Redaktionsgeheimnis aufzuheben. Ein Skandal, der wenig beachtet wurde, kritisiert Möhring.
Transparenz
In Skandinavien wäre dies undenkbar. Seit Jahren rangieren die Länder unter den Top Zehn der Pressefreiheit – Finnland sogar an erster Stelle. Begünstigt wird das von der finnischen Gesetzgebung, die Transparenz fördert, erklärt Elina Grundström, Vorsitzende von Finnlands Rat für Massenmedien. „Alle möglichen offiziellen Dokumente sind automatisch öffentlich zugänglich, mit Ausnahme sehr weniger Schriftsätze, die als geheim eingestuft werden.“Was finnischen Journalisten aber Probleme bereitet: wirtschaftliche Einschränkungen und Facebook-Algorithmen.
Problematischer sehen die ROG-Experten die Entwicklungen in Ungarn. Dort überwacht ein von der Regierung kontrollierter Medienrat die Einhaltung des „öffentlichen Anstands“. Zuletzt stellte man die regierungskritische Népszabadság ein, offiziell wegen Verlusten „bis zur Vorlage eines neuen Geschäftsmodells“.
Noch schlechter steht es um die Türkei, sagt Möhring. Das Land hat den größten Rückschritt gemacht. Sie beobachtete einige Medien-Prozesse: „Man hat den Eindruck, der Rechtsstaat sei ausgehebelt und es herrscht eine willkürliche Rechtssprechung.“Wer als Journalist mit Rückgrat arbeiten will, gefährde seine Sicherheit. Da verwundert auch die Aussage des ehemaligen Cumhuriyet-Chefredakteurs, Can Dündar, nicht: „In Schweden oder Finnland Journalist zu sein, hat keine Bedeutung. Aber es hat Bedeutung in der Türkei. In normalen Zeiten kann jeder Journalismus machen. Jetzt ist die Zeit für wahre Journalisten zu zeigen, was sie können.“