Lungenkrebs: Mehrzahl der Neudiagnosen bei Ex-Rauchern
Experten kritisieren geringes Bewusstsein für die Erkrankung und Stigmatisierung der Betroffenen.
„Die Pathologie ist im Aufwind“. Sie werde immer wichtiger, sagt Dagmar Krenbek. „Und davon profitieren viele Patienten.“Die Pathologie im Wiener Otto-WagnerSpital, wo Fachärztin Krenbek arbeitet, zählt bei der Lungenkrebsdiagnose zu den führenden Einrichtungen in Österreich: Die Pathologen können immer mehr Informationen aus den nur einen Tausendstel Millimeter dünnen Schnitten, die sie aus den Gewebeproben gewinnen, herauslesen.
Krenbek öffnet eine Box mit gefärbten Gewebeproben, die ein wenig an Fingerabdrücke erinnern. „PD-L1“steht auf den Proben. Das heißt: Die Pathologen konn- ten nachweisen, dass auf der Oberfläche vieler dieser Krebszellen ein spezielles Eiweiß (PD-L1) vorhanden ist, das dem Tumor hilft, sich dem Angriff durch das körpereigene Immunsystem zu entziehen. Bei rund 30 Prozent aller Lungenkrebspatienten hat mehr als jede zweite Krebszelle dieses Eiweiß an seiner Oberfläche.
Beim Großteil dieser Patientengruppe wirken moderne Antikörperpräparate besser – und länger – als Chemotherapie. Diese blockieren das Eiweiß, das den Tumor für das Immunsystem unsichtbar macht – das Abwehrsystem kann den Tumor wieder voll angreifen. „Das ist ein Hoffnungsschimmer für diese Patientengruppe“, sagt Maximilian Hochmair, Leiter der Onkologie im Otto Wagner Spital. „Im nächsten Jahr werden uns bereits drei Substanzen zur Verfügung stehen, und das ist nur der Anfang von einer großen Revolution“, so Hochmair. „Viele dieser Patienten können wieder ein komplett normales Le- ben führen. Das ist faszinierend.“Doch Hochmair betont auch: „Leider funktioniert es nicht immer. Wir sind in einer Phase, wo wir als Blinde sehen lernen.“
Krebs versus Wahl
Mit aufrüttelnden Aussagen begann Sonntag in der Messe Wien der Welt-Lungenkrebs-Kongress mit mehr als 6000 Teilnehmern: „Sonntag, ist ein wichtiger Tag für Österreich. Aber es ist sehr wahrscheinlich für ein globales Thema ein noch viel wichtigerer Tag“, betonte der Kongresspräsident und Wiener Lungenkrebsspezialist Univ.Prof. Robert Pirker (MedUni Wien / AKH Wien). „Jedes Jahr werden weltweit ungefähr so viele Menschen, wie Wien Einwohner hat – 1,8 Millionen –, mit Lungenkrebs diagnostiziert“, sagte Pirker: „Und 1,6 Millionen Menschen sterben jährlich an Lungenkrebs.“
„Das Bewusstsein für Lungenkrebs ist viel geringer als für andere Krebserkrankungen“, kritisierte der italieni- sche Onkologe Giorgio Scagliotti von der Internationalen Vereinigung zur Erforschung von Lungenkrebs (IASLC), die den Kongress veranstaltet. Dies sei eine Folge der Stigmatisierung von Menschen mit Lungenkrebs: „Man hat es sich lange einfach gemacht, sich nur auf die Raucher fixiert und ihnen die Schuld zugewiesen. Aber heute erfolgt die große Mehrheit der Neudiagnosen von Lungenkrebs-Fällen bei ExRauchern.“Es sei falsch, mit Schuldzuweisungen zu agieren. Brustkrebs sei ein positives Beispiel, wie Bewusstsein geschaffen werden könne.
Scagliotti betonte, dass erwiesen sei, dass bei Patienten, die nach international anerkannten wissenschaftlichen Behandlungsrichtlinien therapiert werden, „das Behandlungsergebnis viel besser ist“. Es werde „viel an Wundern und an Alternativtherapien versprochen. Aber wenn die Wirkung solcher Therapien nicht in klinischen Studien überprüft wurde, sind sie gefährlich.“